Moma 11.98 InhaltsverzeichnisUnbewältigte LinkeVorwärts und nicht vergessen |
|
Kurt Seifert | Editorial |
Bruno Bollinger | Tagebuch Kein Sozialismus ohne Demokratie |
Gespräche mit Anjuska Weil Regula Fischer Peter Niggli Manfred Züfle |
Unbewältigte Linke "Vorwärts und nicht vergessen..."
|
Gespräch mit Albert Gubler |
Lenin Opportunist
mit Prinzipien Gewerkschaften auf der Suche nach der Avantgarde |
Josef Lang | Wagenknecht, Glatzköpfe,
Eispickel Fragen an die (neue?) Faszination des Stalinismus |
Gespräch mit Hanspeter Uster |
"Druck in die linke
Mitte" Der populärste Zuger Linke |
Diskussion mit Karin Eberli Nico Lutz Chris Schneeberger |
Positive Nebeneffekte Über den konstruktiven Umgang mit Widersprüchen |
Martin Stohler | Planwirtschaft und
Rätedemokratie Ein Fall von kollektiver Amnesie? |
Franz Schandl | Blindlinks Randglossen eines späten Abkömmlings |
Josef Lang | Terror-Zyklen von Lenin zu
Stalin Eine Auseinandersetzung mit dem "Schwarzbuch" |
Bernhard Rumpf | Wilhelm Reichs Energie lebt Der radikale Sexualforscher vor der Rehabilitation? |
Maja Wicki | Bildung zur Veränderung Das subversive Potential wissenschaftlicher Skepsis und professioneller Kompetenz |
Editorial | Neue Politik, alte GeschichtenDie "Neue Linke" trat vor 30 Jahren mit dem Anspruch an, alles anders zu machen. Sie wollte nichts mehr wissen von der "Verlogenheit der Väter und Mütter" (so Peter Niggli im MOMA-Gespräch), die die Anpassung an Nazi-Deutschland als "Widerstand" verkauften und den Nachkriegskonformismus als "Freiheit". Es gab auch kaum eine eigenständige Tradition des Befreiungskampfes, an die sie hätte anknüpfen können: Die Sozialdemokratie war weitgehend verbürgerlicht und von der kommunistischen Strömung blieb zwischen stalinistischer Lagermentalität und der helvetischen "Diktatur des Patriotismus" (Hans Tschäni) kaum noch Substanz übrig. Da suchte man sich seine Vorbilder lieber ein bisschen weiter weg geographisch wie geschichtlich. Mit ihren revolutionären Träumen meinte sie es ernst auch wenn es nicht zum Ernstfall kam. Der hätte ein paar Leuten das Leben kosten können, nicht nur "Rechten". Denn schliesslich waren die "ärgsten Feinde (...) nicht die Klassenfeinde, sondern jene, die uns eigentlich am nächsten standen", wie Franz Schandl in diesem Heft aus österreichischer Perspektive schreibt. Etwas hat die Linke nicht nur die Achtundsechziger immer wieder beschäftigt: die Faszination der Gewalt, mit der man sich von Ausbeutern und Abweichlern befreien könnte. Wer sich mit dem Vietcong solidarisierte, wollte nicht nur so meine These aus eigener Erfahrung auf der Seite der Opfer stehen, sondern auch teilhaben am "Sieg im Volkskrieg" über die imperialistische Vormacht. So konnte man schon einen Vorgeschmack auf die kommenden Siege im eigenen Land geniessen. Vielleicht waren und sind das vor allem männliche Machtphantasien, doch ich kenne auch Frauen, die daran partizipiert haben. Der Umgang mit Gewalt seltener in physischer Form, sondern eher der in den Köpfen ist einer der blinden Flecken im Bewusstsein der Linken. Es gibt noch ein paar andere: beispielsweise die Anziehungskraft autoritärer Führer und ihrer Programme. "Alte Geschichten", werden Sie sagen. Vielleicht. Doch ohne den Versuch, unsere eigene Geschichte aufzuarbeiten, werden wir auch nicht weiterkommen in der Auseinandersetzung um die Geschichte des Landes, in dem wir leben. Wer z.B. der Anziehungskraft des Faschismus in bürgerlichen Milieus der Zwischenkriegszeit auf der Spur ist, sollte linkerseits die Beschwichtigungen und Rechtfertigungsversuche angesichts des Stalinschen Terrors nicht vergessen. Es geht keineswegs ums Auf- und Abrechnen eher ums Eingedenken (Walter Benjamin) der Opfer, die jegliche Anmassung von Macht gekostet hat und immer noch kostet. Das vorliegende Heft ist nicht viel mehr als ein bescheidener Versuch, auf ein paar unbewältigte, unverarbeitete Erbstücke der Linken hinzuweisen. Wir hoffen auf Ihr lebhaftes Echo! Das Thema wird uns sicher weiter beschäftigen. Kurt Seifert |
© MOMA 8031 Zürich |