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"Ohne Abkommen ist Krieg unausweichlich"

"Ein Abkommen bedeutet das Ende aller serbischen Anspr?he und Illusionen im Kosovo. Aber die Albaner werden die jugoslawische Staatshoheit nur anerkennen, wenn die Nato wirklich kommt." Das Interview mit Fehmi Agani f?rte Anthony Bordon, Direktor des "Institut for War and Peace Reporting" IWPR. Die Bearbeitung und ?ersetzung besorgte Roland Brunner f? die Medienhilfe Ex-Jugoslawien.

Zwei Wochen vor Beginn der Nato-Bombardierungen stand Pristina auf des Messers Schneide. Die Albaner standen kurz davor, das Abkommen von Rambouillet zu unterschreiben. W?de es damit gelingen, der serbischen Vertreibungspolitik ein Ende zu setzen? Professor Fehmi Agani, Ibrahim Rugovas Stellvertreter in der Demokratischen Liga des Kosova LDK und Mitglied der albanischen Verhandlungsdelegation in Rambouillet gab Mitte M?z ein Interview, das eines seiner letzten sein sollte. Weisshaarig und im frisch geb?elten Anzug sass er auf der Dachterrasse seines Lieblings-Kaffees im Zentrum Pristinas und ?sserte sich ?er die M?lichkeiten und Gefahren einer neuen Welle der Gewalt.*

Sind Sie optimistisch, dass in den n?hsten Wochen eine positive L?ung m?lich ist?

Fehmi Agani: Es gibt nicht viel Grund zu Optimismus, aber wir k?nen es uns nicht leisten, pessimistisch zu sein.

Welches sind die Probleme im Abkommen von Rambouillet?

F? die Serben ist das Problem, dass das Abkommen das Ende aller serbischen Anspr?he und Illusionen im Kosovo bedeutet. Sie wollen Kosovo immer noch in Serbien halten, auch wenn das heute nicht mehr der Realit? entspricht und zwei Millionen Menschen es nicht mehr wollen. Viele Leute in Serbien verstehen das heute nicht. Aber schon morgen werden viel mehr es verstehen. Es f?lt Serbien sehr schwer, es zu akzeptieren, aber es ist noch schwerer, das zu verneinen. Darin liegt unsere Hoffnung.

F? die Albaner liegt die Schwierigkeit darin, die Integrit? und Souver?it? Jugoslawiens anzuerkennen. Jugoslawien wird weiterhin wichtige Machtbereiche innehaben. Und Serbien ist weiterhin in der Verfassung vorhanden. Diese symbolische Anerkennung ist sehr wichtig, denn unser Ziel ist die Unabh?gigkeit. Wir f?len, dass es f? uns in Serbien oder Jugoslawien keine Zukunft gibt. Aber wenn die Albaner sicher sind, dass die Nato wirklich kommt, werden sie die jugoslawische Staatshoheit anerkennen.

Was wird die Rolle des Westens sein?

Das Abkommen sieht eine Art Protektorat vor und es hat nur wirklich eine Chance, wenn eine internationale Macht, eine Nato-Truppe stationiert wird. Der jugoslawische Pr?ident Slobodan Milosevic sagt zwar, dass Serbien und seine Verfassung als Rahmen gen?en, um das Abkommen umzusetzen. Aber ohne Nato wird das unm?lich sein. Wer sonst soll denn die zwei Armeen auseinanderhalten? Wer sonst kann den Frieden erzwingen?

Die M?lichkeit bleibt, dass Pristina zum ersten Mal seit vielen harter Zeiten zu einem radikal anderen Ort wird.

Fr?er, vor allem von 1974 bis 1990, hatten wir hier ein gutes Leben. Die Albaner haben dominiert, weil sie Teil Jugoslawiens waren und nur dem Namen nach zu Serbien z?lten. Sie verf?ten ?er substanzielle Autonomie. Kosovo konnte in der jugoslawischen F?eration gleichwertig wie die Republiken teilnehmen. Es hatte sein Parlament, seine Verfassung und sein oberstes Gericht, sein Verfassungsgericht und seine finanzielle Unabh?gigkeit. Das wichtigste Gremium war das jugoslawische Pr?idium und Kosovo war dort mit einer Person vertreten, gleich wie Serbien oder Kroatien. Im jugoslawischen Parlament hatten die Albaner ein Vetorecht. Nichts konnte damit ohne sie entschieden werden. Kosovo war eine Art stabiler Staat.

Jetzt ist die Lage hier dagegen abnormal. Im Erziehungswesen zum Beispiel haben wir Schulen in ganz Kosovo, die vollst?dig leerstehen. Die Albaner brauchen Schulr?me, aber sie d?fen diese Schulh?ser nicht betreten. Wir haben die Serben sogar gefragt, ob wir sie in Nachmittags-Schichten benutzen d?ften, aber sie haben abgelehnt. K?nen Sie sich vorstellen? Sportstadien sind auch f? Serben reserviert. Kann jemand eine so irrationale Politik verstehen?

In Pristina selber sp?t man diese Diskriminierung nicht so sehr, weil 70 Prozent oder mehr der Bev?kerung Albaner sind und sie ihr eigenes Leben entfalten. Aber bei den Beh?den oder der Polizei sieht man nur Serben. Es gibt eine effektive Besatzungsmacht und wir k?nen nicht mehr in Serbien bleiben. Wenn das Abkommen angenommen wird, sollte diese Situation viel, viel besser werden.

Aber alle, selbst die USA, widersetzen sich einer Unabh?gigkeit.

Das ist im Moment auch verst?dlich. Aber niemand hat das Recht oder gute Gr?de, sich unserer Unabh?gigkeit entgegenzustellen.

Sie haben Angst vor einer Destabilisierung der Region, f? Mazedonien, Angst vor einer Ver?derung der Grenzen...

... aber das w?e keine ?derung der Grenzen. In Jugoslawien war Kosovo eine konstituierender Bestandteil mit klar festgelegten Grenzen. Dieses Jugoslawien gibt es nicht mehr. Und wie die anderen Staaten – Kroatien, Bosnien, Slowenien, Mazedonien – sollte auch Kosovo das Recht haben, ?er seinen Status zu entscheiden. Wir sind keine separatistische Bewegung. Wir sagen ganz einfach, dass wir Jugoslawien nicht akzeptieren. Jugoslawien ist heute ein neuer Staat und es ist nicht unser Staat. Er heisst Jugoslawien nur dem Namen nach. In Wirklichkeit ist dieser neue Staat Serbien.

Aber die Hoffnungen auf Ver?derung begr?den sich heute auf die Kosovo Befreiungsarmee U? und nicht auf die Demokratische Liga des Kosovo LDK.

Das denke ich nicht. Die wirkliche Niederlage Serbiens war die politische, die ihr die LDK zugef?t hat. Das hat nicht gen?t, aber die U? ist in einem Moment aufgetaucht, als die serbische Pr?enz in Kosovo schon sehr seltsam war. Der Boden war f? sie vorbereitet. Es gibt eine Verbindung zwischen der Zeit der LDK und derjenigen der U?.

Worin bestand diese politische Niederlage? Was war der albanische "Sieg"?

Serbien kann keine Albaner in seine Armee rekrutieren. Es kann uns nicht in seine Kriege verwickeln. Es kann keine Volksz?lungen hier durchf?ren. Serbien wurde in Kosovo auf seine Polizei und seine Armee und seine Gewalt reduziert. Politisch war Serbien in Kosovo v?lig isoliert und hatte keinerlei Unterst?zung in irgendwelchen Teilen der albanischen Gesellschaft.

Und jetzt ist die Zeit der U??

Auf eine Art schon, aber nur f? kurze Zeit. Die Probleme k?nen von der U? nicht gel?t werden, auch wenn sie an der L?ung teilnehmen muss. Aber die anderen Teile der Gesellschaft, vor allem die LDK, werden auch eine Rolle spielen. Die LDK hat beispielsweise ein System relativ unabh?giger Institutionen wie Schulen geschaffen, die sehr wichtig sein werden.

Aber vor allem junge Albaner sind heute radikalisiert. Sie sagen, die LDK habe versagt und ihre pazifistische Strategie sei ein Fehler gewesen. Die Gewalt dagegen sei erfolgreich.

Ja, aber diese Theorie wurde noch nicht getestet. Man muss die gesetzten Ziele mit dem Erreichten vergleichen. Mehr als 2000 Menschen wurden get?et, 5000 verletzt und mehr als 50'000 Menschen mussten fl?hten. Eine Zeit lang hatten wir 400'000 intern Vertriebene. 40'000 H?ser wurden niedergebrannt. Das sind enorme Kosten. Und dieser Preis wurde fast ausschliesslich von den normalen Menschen bezahlt. Menschenrechtsorganisationen sagen, dass 95 Prozent der Get?eten Albaner Zivilpersonen sind und ganze 5 Prozent K?pfer der U?. Ich will die Erfolge der U? nicht schm?ern, aber ich bin gegen Euphorie.

Was kommt als n?hstes?

Ein Protektorat. Wenn ein Abkommen erreicht wird, wird es wirkliche Institutionen geben und wirkliche Politik. Es ist unm?lich zu sagen, was geschieht, wenn es nicht zu einem Abkommen kommt: entweder Verbleiben in Serbien oder Krieg – und beides ist unannehmbar. Auf der einen Seite haben wir die Jugoslawische Armee, auf der anderen Seite 20'000 Mann in der U?. Ohne ein Abkommen ist ein Krieg fr?er oder sp?er unausweichlich.

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