Linke Politik vor den Wahlen: Hartnäckigkeit oder Abwarten?MOMA-Redaktionsgespräch Februar 1999 |
Engagierte Politik, nicht nur f? die Wahlen: C?ile B?lmann, Nationalr?in des Gr?en B?dnis Luzern (Gr?e Partei), SPS-Pr?identin Ursula Koch und die gr?-alternative Nationalr?in des Gr?en B?dnis Bern Franziska Teuscher (v.l.n.r.). |
"Vielen gen?t das Kotelett im Teller"Die Wahlsiege der "neuen Sozialdemokratie" haben die Mehrheiten in Europa ver?dert. Im Hinblick auf die Nationalratswahlen 1999 hat MOMA mit C?ile B?lmann, Ursula Koch und Franziska Teuscher ?er Orte und Subjekte linker Politik in der (noch) b?gerlich dominierten Schweiz gesprochen.
C?ile B?lmann: Es gibt f? die Gr?en nicht nur einen Schwerpunkt auch wenn wir oft auf die ?ologie reduziert werden. Sozialpolitik ist ein starkes zweites Bein. Diese beiden Schwerpunkte versuchen wir in der ?ologischen Steuerreform zu verkn?fen. Diese haben wir nicht auf die Wahlen hin entwickelt, sie besch?tigt uns seit l?gerem und wird auch nach den Wahlen weitergef?rt. Die rot-gr?e Koalition in Deutschland verst?kt diese Idee, und Joschka Fischer erhofft sich einen markanten Fortschritt in n?hster Zukunft auf Druck aus Deutschland und auch aus Frankreich hin. Wir m?sen intelligente Wege finden, ?ologische Fragen mit sozialen zu verbinden. Ursula Koch: Ich m?hte nicht bei
einzelnen Politikbereichen, sondern auf einer anderen
Ebene ansetzen. Im Zuge der Globalisierung wird die
Politik als gesellschaftsgestaltende Kraft immer mehr
zur?kgedr?gt. Die PolitikerInnen bemerken das zwar,
wagen es aber nicht, sich damit vertieft
auseinanderzusetzen. Der Kampf auf nationalstaatlicher,
europ?scher wie auch auf globaler Ebene muss sich daher
haupts?hlich um die R?keroberung des Politischen
drehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang eine
Bewusstseinsbildung: Die Menschen sp?en die
Zur?kdr?gung des Politischen, sie resignieren und
ziehen sich zur?k auf ihr ?onomisches Wohlergehen;
das Kotelett im Teller gen?t dann. C?ile B?lmann: Das sind die auch mir so wichtigen Themen, die leider f? ein Wahljahr nicht verwertbar sind, denn damit kann keine Personality-Politik gemacht werden. Solche Fragen stellen einen ganz anderen Zugang zur Politik dar. Franziska Teuscher: Fragen, die hier ankn?fen, sind: Was ist Politik? Ver?dert sich etwas in der Politik? In der institutionellen Politik ver?dert sich kaum etwas. Aber Politik ist ja nicht nur Parlamentspolitik, sondern auch die Politik der Umweltorganisationen oder Gewerkschaftspolitik. Hier sollten wir ansetzen, um Ver?derungen zu erreichen. Ein mir wichtiges Thema ist die soziale Gerechtigkeit, die Verteilung von Arbeit, von Reichtum in unserer Gesellschaft. Daran kn?fen andere Politikfelder an. ?er die Fragen der Arbeitsverteilung oder ?er die Geschlechterfrage stellen wir auch die Machtfrage. Die Machtfrage ist eine zentrale politische Frage der Linken schlechthin. C?ile B?lmann: Die Frage nach
sozialer Gerechtigkeit und Verteilung ist f? mich die
Grundmotivation der politischen Arbeit ?erhaupt. Sonst
k?nte ich mich zur?klehnen und das Leben geniessen.
Seit ich politisch t?ig bin, nehme ich wahr, dass das
Verteilungsungleichgewicht st?dig zunimmt. Dadurch
werden immer mehr Leute ausgegrenzt.
Ursula Koch: Diese Diskussion beginnt von neuem, sie war lange Zeit versch?tet, sei es aus Resignation, aus einem Anpassungs- oder einem Legitimationsdruck. Die Bereiche, in denen wir traditionellerweise stark waren, n?lich kreatives Denken, Ideen entwickeln, experimentierfreudig sein, diese F?igkeiten sind heute versch?tet. Ohne solche Visionen- oder Gedankenarbeit kann aber Politik nicht existieren. Ich stelle fest, dass viele Leute ein Riesenbed?fnis nach solchen Visionen haben, aber es ist nicht mehr "modern", man getraut sich nicht, dies zu benennen. Es gilt, dies wieder hervorzuholen.
Ursula Koch: Freiheit und
Gerechtigkeit sind sehr eng miteinander verkn?ft.
Freiheit n?zt nichts, wenn die Mittel fehlen, sie auch
zu gebrauchen. Franziska Teuscher: Es wurde gesagt,
die Menschen h?ten sich von der Politik verabschiedet.
Aber eigentlich hat sich die Politik von den Leuten
verabschiedet. Die Frage der Armut wurde beispielsweise
nicht von den linken Parteien aufgegriffen, sondern von
den Gewerkschaften und der Caritas. Da wurde dann
gestaunt, dass das gr?ste Armutsrisiko heute bei
Familien liegt, dass es nicht nur alleinerziehende
Frauen, sondern auch die Durchschnittsfamilie betrifft. C?ile B?lmann: Eine dieser Randgruppen, die du erw?nst, sind die MigrantInnen, die mittlerweile zwanzig Prozent der Bev?kerung ausmachen. Es ist eine Katastrophe, dass sie keine Mitbestimmungsrechte haben und dieses F?ftel in der Politik dadurch einfach aus dem Wahrnehmungsbereich f?lt. Sie sind ja f? die institutionelle Politik als W?lerInnen nicht interessant. Dass diese Menschen als S?denb?ke verwendet werden f? alles, was schlecht l?ft und seine Ursachen in Deregulierung und Neoliberalismus findet, und die Frustrationen der Bev?kerung auf diesem Segment der Bev?kerung ausgelebt werden, finde ich unglaublich. Mir als Mitglied der Rassismus-Kommission werden diese Prozesse immer st?ker bewusst, aber viele von denen, die diese Abbauprozesse in Verwaltungen oder Firmen zu verantworten haben, sind sich nicht im Klaren, was sie eigentlich anrichten. Es fehlt an Bewusstsein f? die Folgesch?en solcher Politik der Ausgrenzung und der Umlenkung der daraus entstehenden Frustrationen auf marginalisierte Randgruppen. Es braucht nur noch ein paar Funken, damit da schlimme Dinge passieren. Ursula Koch: Wir erleben fast ein
d??u. In den Dreissigerjahren hatten wir auch
Massen, die sich mobilisieren liessen. Linke, Juden,
Zigeuner und Homosexuelle wurden zu S?denb?ken
gemacht. Auch heute l?st sich das Kleinb?gertum gerne
f? solche Strategien einspannen. Darauf m?hte ich
jetzt nicht weiter eingehen.
Ursula Koch: Da br?chte es zuerst einmal soziologische Analysen. Grunds?zlich muss man sich doch fragen: Wer interessiert sich ?erhaupt noch f? Politik? Franziska Teuscher: Es interessieren
sich immer noch viele Menschen f? Politik. Wir m?sen
uns aber ?erlegen, wie wir mit ihnen gemeinsam etwas
ver?dern k?nen. Denken wir an die
Arbeitszeitverk?zung: Verschiedene linke Str?ungen
m?en schon lange gesagt haben, wie n?ig eine
generelle Verk?zung der Arbeitszeit ist. Jetzt l?ft
eine Volksinitiative der Gewerkschaften, die M?e hat,
die n?igen Unterschriften zusammen zu bekommen.
Weshalb? Weil viel zu wenig dar?er diskutiert wird
auch in den Gewerkschaften. Auch die
institutionelle Politik muss solche Fragen aufgreifen.
Sonst denken die Menschen, diese Politik betreffe sie
nicht, und sie ziehen sich zur?k. C?ile B?lmann: Tats?hlich haben wir grosse Fortschritte erzielt bei den internationalen Konventionen. Nur stellt der hirnw?cheartige neoliberale Diskurs um Deregulierung und Abbau sozialer Leistungen eine gegenl?fige Tendenz dar. Die Frage nach der Einklagbarkeit, nach der M?lichkeit der Nutzung dieser Rechte stellt sich. Dazu braucht es zuallererst das Wissen bei den Menschen, dass diese Rechte existieren. Es braucht auch viel Mut, einen Gang nach Strassburg zu wagen. Ich glaube, der neoliberale Trend ist viel entscheidender als das Vorhandensein dieser guten Instrumente. Ursula Koch: Ich m?hte auf den
Vergleich zu den Dreissigerjahren zur?kkommen. Analysen
zeigen auf, wie Menschen in bestimmten ?onomischen
Situationen reagieren. Besteht ein Klima der Angst, der
Verunsicherung, dann ist es die Aufgabe der Politik,
dagegen zu wirken. Der neoliberale Diskurs hat aber dazu
gef?rt, dass das Subjekt, mit dem (und nicht f? das)
Politik gemacht wird, marginalisiert worden ist. Franziska Teuscher: Mir klingt das zu pessimistisch. Wir haben in den letzten Jahren nicht nur R?kschl?e erlitten, ich denke an die Revisionen von Arbeitsgesetz und Arbeitslosenversicherung. Dort ist es gelungen, die Menschen wieder betroffen zu machen und damit gegen die neoliberale Politik ein Zeichen zu setzen.
Ursula Koch: Es stimmt einfach nicht, dass die Linke eine Mittelstandspolitik betreibt. Mit solchen Aussagen werden die Menschen reduziert auf ihre ?onomischen Interessen, als ob Menschen eindimensionale Wesen w?en, die sich nur f? ihre eigenen ?onomischen Interessen einsetzen. Das greift zu kurz. Man kann aus Emp?ung ?er Ungerechtigkeit oder Verletzung von Menschenrechten Politik machen, auch wenn man gut verdient. Es gibt zwar von ihrem Einkommen her sehr viele mittelst?dische Linke, das bedeutet aber nicht, dass sie eine Mittelstandspolitik betreiben. Betrachten wir die politische Agenda, dann ist das weiss Gott keine Mittelstandspolitik. In erster Linie ist es eine Umverteilungspolitik zugunsten der unteren Schichten. C?ile B?lmann: Dem stimme ich zu. Wollte ich selber nur meine Interessen verteidigen, h?te ich beispielsweise f? die Wohneigentumsinitiative gestimmt, denn ich besitze mit FreundInnen zusammen ein Haus. Nat?lich gibt es Menschen, die den Kopf sch?teln und sagen: Du stimmst gegen deine eigenen Interessen. Dort merke ich, dass ich ein anderes Verst?dnis von Politik habe. Da ich keine eigenen Kinder habe, m?ste ich mich in dieser Logik auch nicht f? die Mutterschaftsversicherung einsetzen, wie ich es seit Jahren tue. Seit es die Gr?en gibt, f?lt auf, dass die MitgliederInnen aus gut ausgebildeten Mittelschichten stammen. Ursula Koch: Wieder stellt sich damit
die Frage nach dem politischen Subjekt. Wir leben in
einer ausgesprochenen Klassengesellschaft. Wer das
Links-Rechts-Schema als ?erholt bezeichnet, erz?lt
Humbug. Krass gesagt, halten wir uns Sklaven, die nichts
zu sagen haben, die als politische Subjekte nicht
existieren, die a priori politisch entm?digt sind. Sie
stellen eigentlich das klassische Proletariat dar, das
den gr?sten ?onomischen Druck und die gr?ste
Deprivilegierung der Freiheiten zu tragen hat. Und dieses
Proletariat hat keine M?lichkeiten, sich
politisch-institutionell zu artikulieren.
C?ile B?lmann: Ich habe den deutschen Koalitionsvertrag gelesen. Wir h?ten eine andere Schweiz, wenn die darin festgehaltenen Ziele bei uns verwirklicht werden k?nten, auch wenn es noch nicht das Gelbe vom Ei ist. Denken wir an die ?ologisierung, an die Umverlagerung, die Verteuerung der Energie und Entlastung der Arbeitsnebenkosten oder an den Atomausstieg. Wird das in den n?hsten vier Jahren wirklich umgesetzt, so ist dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Franziska Teuscher: Auf dem Papier sieht der Vertrag tats?hlich gut aus. Aber die Umsetzung wird schwierig sein. Wir k?nen die Verh?tnisse in Deutschland auch nicht auf die Schweiz ?ertragen, weil wir ein ganz anderes politisches System haben. Wir m?sen innerhalb unseres Systems Ver?derungen bewirken. Der Blick nach Deutschland kann dazu allerdings sehr motivieren.
C?ile B?lmann: Wir drei haben da unterschiedliche Rollen. Die Gr?en sind im Parlament die gr?ste Nicht-Regierungsfraktion. Als Partei verstehe ich unsere Rolle so, dass wir Ideen liefern und in die Zukunft blicken Ideen, die irgendwann mehrheitsf?ig werden sollen. Die SP ist da mehr von der Realpolitik gepr?t. Ursula Koch: Nicht nur, sondern auch.
Wir beteiligen uns als Linke in der Minderheit an einer
Regierung mit einer klaren b?gerlichen Mehrheit. C?ile B?lmann: Die Schweiz bringt mit ihrem anderen politischen System auch nicht v?lig andere gesellschaftspolitische Resultate hervor als die anderen L?der. Franziska Teuscher: Ich w?de nicht
behaupten, dass die Resultate vom politischen System
v?lig unabh?gig sind. Mit den direktdemokratischen
Instrumenten k?nen die Menschen hier partizipieren.
Daraus resultiert eine unterschiedliche Art der Politik.
In der Konkordanzpolitik nimmt die Sozialdemokratie eine
spezielle Rolle ein, denn sie profitiert von diesem
Machtkartell, ?ssert aber immer wieder in der
?fentlichkeit, sie sei halt eine Minderheitspartei. Wir
Gr?-Alternativen stellen radikalere Fragen ohne
R?ksicht auf gewisse Abkommen. Mit diesen Fragen muss
sich die SP immer wieder auseinandersetzen.
C?ile B?lmann: Die ?ologische Frage ist noch schwieriger zu portieren und zu politisieren als die soziale. ?ologie hat bisher noch wenig mit dem Leben der Menschen zu tun, auch wenn das Wissen um die Problematik vorhanden ist. Auch aus der politischen Agenda ist diese Frage verschwunden. Das ?onomische ?erdeckt gegenw?tig einfach alles. Ursula Koch: Es gibt weltweit unz?lige Beschwichtigungsversuche, aber nirgends eine Politik, die alle Probleme rechtzeitig l?en kann. Damit will ich sagen: Es handelt sich nicht nur um die Frage der Zeit. Es stellt sich auch die Frage: Wer tr?t und setzt diese Politik ohne Tyrannei durch? Wer tr?t, auch bei demokratischer Mitwirkung der V?ker, die Politik, die noch zur rechten Zeit kommt? Franziska Teuscher: Ich w?de es nicht so negativ sehen, dass ?ologie kein Thema mehr ist. In der Energiefrage zum Beispiel passiert nicht einfach nichts. Energieabgaben werden diskutiert, erneuerbare Energien sollen anl?slich des neuen Elektrizit?smarkgesetzes gef?dert werden... Bei solchen Fragen haben wir Ansatzpunkte, um weiterzukommen. Wir m?sen den Druck aufbringen, dass die AKW abgeschaltet werden und dass die B?gerlichen von ihrem Versorgungsdruck-Diskurs endlich abkommen. Wir m?sen bei bestimmten Themen einfach hartn?kig genug sein, dann k?nen auch radikale Positionen mehrheitsf?ig gemacht werden. Wir haben die guten Ideen. Ursula Koch: Das stimmt, aber wir m?sen die Strategie der Schnecke anwenden, der langsamen, z?en ?erzeugungskraft. Denken wir an die Mutterschaftsversicherung: 53 Jahre haben wir darauf gewartet. Die Frage stellt sich, ob wir f? alle Probleme so viel Zeit haben. Franziska Teuscher: Betrachten wir die Frage der nachhaltigen Entwicklung. Institutionell ist sie abgesegnet. Aber es passiert in der Schweiz relativ wenig, auch mit der Rio-Konvention. Als linke Politikerin kann ich diese Konvention nicht den Umweltorganisationen allein ?erlassen. Wir sind diejenigen, die Vorschl?e ausarbeiten k?nen und Ideen bringen m?sen, auch auf der Ebene der institutionellen Politik.
Ursula Koch: Eine Verst?kung unserer Mandate und damit mehr Einfluss. Daneben sind Wahlen auch dazu da, die eigenen Positionen und Ideen zu kl?en und zu vertreten. C?ile B?lmann: Auch ich erhoffe mir mehr Mandate. Ich bin allein in einer Nationalratskommission, auch Franziska ist allein. Das bedeutet enorme Arbeit. W?en wir st?ker, k?nten wir diese Arbeit besser aufteilen. Franziska Teuscher: Betrachte ich die Fragen der Politik in den n?hsten Jahren, m?sen die Rot-Gr?en und auch die SP unbedingt ihre Positionen ausweiten. Die Zukunft geh?t Rot-Gr?. |
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