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Feminismus oder Weiblichkeit?

Feministische Konzepte nach dem backlash: noch mehr Weiblichkeit in Sicht?

MOMA-Redaktionsgespr?h M?z 1999

Feministische Konzepte strebten und streben Gleichberechtigung an. Seit dem politischen Gleichstellungsgesetz k?nte geglaubt werden, die Ziele des Feminismus seien erreicht. Es bleiben aber weiterhin viele Diskriminierungen, es bleibt viel Arbeit. MOMA unterhielt sich ?er feministische Konzepte heute mit der Historikerin Heidi Witzig und der Biologin Martina Meier, das Gespr?h moderierte Maja Wicki.

Wo positioniert ihr euch in der feministischen Arbeit, was habt ihr f? T?igkeitsfelder?

Heidi Witzig: Ich bin Historikerin und geh?e zu derjenigen Generation, die in den fr?en Siebzigerjahren die neue Frauenbewegung mitgetragen hat. Diese Zeit hat mich sehr gepr?t. Von dem her ist mein Anliegen immer noch die Gleichstellung der Geschlechter im ?fentlichen Bereich wie zum Beispiel der Wirtschaft und der Politik, wie es mit dem Gleichstellungsgesetz nun endlich auch erreicht worden ist. Mein Anliegen war aber auch von Anfang an eine kulturelle Revolution, eine Umwertung der Werte. Als Historikerin sehe ich, dass das eine nicht ohne das andere geht. Gleich langen Spiessen im ?fentlichen Bereich m?sen auch zu Hause gleich lange Spiesse entsprechen, so bei unbezahlter Arbeit, Familien- und Hausarbeit, und schliesslich m?sen auch die kulturellen Bilder, die Bilder von Frauen und M?nern, dem entsprechen: dieses Spannungsverh?tnis interessiert mich. Heute, eine Generation sp?er, wird festgestellt, dass es keine einheitliche Geschichte der Diskriminierung mehr gibt, sondern nur noch Geschichten. Damit ist die Frage aber nur neu gestellt, noch nicht beantwortet.

In den Siebzigerjahren gingen wir noch davon aus, die Diskriminierung der Frauen durch die M?ner sei eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Das war die grosse Erz?lung, die wir hatten, sie gab uns auch den Punch, machte diese kulturelle Revolution so farbig. Diese Geschichte kannst du heute aber nicht mehr so erz?len. Die Frauen weltweit als Opfer, die M?ner weltweit als T?er, diese Sichtweise musste umgekrempelt werden, denn es gibt noch eine Vielzahl anderer Diskriminierungsmuster. Ich selber musste auch beim Schreiben meiner B?her sehr bescheiden lernen, dass es einfach nicht wahr ist, dass Frauen immer die Opfer, M?ner immer die T?er sind. Daraus sind Diskriminierungs-Geschichten entstanden: Zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten sind bestimmte Diskriminierungsformen wichtig und andere nicht. Das Geschlecht ist nur eine Diskriminierungsm?lichkeit.

 Martina Meier: Von meinem Alter her k?nte ich die Tochter sein von Heidi Witzig, ich vertrete also die n?hstj?gere Generation. Zwar habe ich seit meiner Kindheit immer wieder erfahren m?sen, was es bedeutet, Etikettierungen ausgesetzt zu sein, mit denen ich nicht einverstanden war. Meine Mutter hat mich in meiner sehr selbstbewussten, k?pferischen Art dabei unterst?zt, mich gegen abwertende Zuschreibungen zu wehren. Ich erkannte aber noch nicht die frauenfeindliche Systematik hinter diesen Diskriminierungen, dass M?chen weniger gelten sollten als Jungen; ich dachte, das sei mein pers?liches Schicksal. Ich musste als junge Frau erst lernen, mich der Frauenbewegung zugeh?ig zu f?len. Urspr?glich war mein politisches Interesse eher auf v?kerkundliche, natursch?zerische und menschenrechtliche Fragen ausgerichtet. Das Schicksal vieler indigener V?ker hat mich davon ?erzeugt, dass auf dieser Welt einiges nicht stimmt. Die Mitgliedschaft bei Amnesty International hat mich in dieser ?erzeugung best?kt. Ich habe mich dann erst mit der langsamen Entwicklung meines historischen Bewusstseins mit der Frauenbewegung identifiziert, vorher stand ich ihr eher ablehnend gegen?er. Ein eigenst?diges feministisches Bewusstsein entwickelte ich im Folgenden aus der Frage heraus, ob es politische Mittel gibt, die frauenbewegte Ziele f?dern k?nten, Stichworte: gewaltfreie Aktionen, andere Formen der Kommunikation, ausserparlamentarischer Widerstand. Diese Fragen habe ich selbstverst?dlich auch mit m?nlichen Kollegen diskutiert, habe mich aber auch immer gefragt, ob dahinter noch etwas steht, das spezifisch feministisch ist.

Die Auseinandersetzung mit dem Staatsbegriff hat mir klar gemacht, dass der Staat eine patriarchale Institution ist, und dass es langfristig darauf ankommt, eine herrschaftsfreie, wohlregulierte Gesellschaft aufzubauen, die ohne Staat im herk?mlichen Sinn auskommt.

Auch in der Analyse der Naturwissenschaften – ich bin Biologin – half mir der feministische Ansatz entscheidend weiter. War mir als Natursch?zerin bloss klar, dass die herk?mliche Biologie teilweise mithalf, nat?liche Lebensgrundlagen zu zerst?en, sah ich als Feministin, weshalb in den Naturwissenschaften eine frauen- und gleichzeitig naturfeindliche Ideologie vorherrscht. Als leidenschaftlicher Biologin war dieses Zerpfl?ken meines Fachs Anfang der Achtziger Jahre mit viel Leiden verbunden; damals habe ich eine eigene Definition von Biologie entwickelt: Ein Mensch, der sich der Natur n?ert und die Kommunikation mit ihr sucht, ohne sie zu zerst?en. Damit ist auch ein St?k meiner Identit? verkn?ft und es verletzt mich, wenn ich sehe, was mit diesem Fach gemacht wird: Missbrauch der Natur und des Wissens, das die Natur uns zur Verf?ung stellt. Dieser emp?enden Situation m?hte ich eine echte, menschliche Biologie gegen?erstellen. Das ist mein privates Projekt, dass sich aber mit meinem politischen Engagement deckt, da ich gegen Gen- und Reproduktionstechnologie k?pfe.

 Heidi Witzig: Du sprichst von einem privaten Projekt; in meinem Verst?dnis sage ich auch heute noch, dass es keine privaten Projekte gibt, die nicht auch ?fentlich w?en. In diesen Kategorien denke ich heute noch, aber vielleicht sind sie bereits antik.

Vielleicht auch nicht. K?nen nicht private Projekte, die sich mit den privaten Engagements anderer decken, dadurch ?fentlich werden?

Martina Meier: Meine Sicht ist folgende: Ich bin in der privilegierten Situation einer Akademikerin. Ich habe eine Verantwortungsethik: Wer Macht hat, hat auch Verantwortung, in meinem Fall also ein Fach so zu pr?en, dass es gesellschaftlich sinnvoll ist. Langfristig geht es um das Schaffen eines wissenschaftlichen Grundverst?dnisses, das auf Gleichberechtigung und Verst?digung mit der Natur angelegt ist.

Wie steht es denn in der Geschichtswissenschaft? Zeigt sich hier eine Generationendifferenz gegen?er den Siebzigerjahren?

Heidi Witzig: Selbstverst?dlich gibt es hier Unterschiede. Wenn ich nur schon die jungen Studentinnen anschaue: Alle sitzen sie schwarzgekleidet da, eine wie die andere mit einem Ausdruck in den Augen: du musst mir gar nichts erz?len, ich weiss es sowieso. Darin spiegelt sich neben der Abwehr auch eine gewisse Uniformit?, wie wir sie auch gekannt haben. Daneben besteht aber auch eine Gemeinsamkeit, das Engagement um gleiche Wertsch?zung. Das ist sp?bar unter dem Motto: ich weiss gar nicht, was du hast. Wir m?sen nicht um unsere Anerkennung k?pfen, hat ein Mann damit Probleme, ist er einfach abserviert.

Martina Meier: Ich kann das gut nachf?len: als Tochter einer ein St?k weit emanzipierten Mutter konnte ich das Problem gar nicht so recht erkennen. Intellektuelles Selbstbewusstsein hatte ich und ich konnte daher gar nicht nachvollziehen, dass andere Frauen mit ihrem Selbstbewusstsein Probleme haben k?nten. Es kommt also auf die BiograFie der einzelnen Frau an, wie der Zugang zum Feminismus erfolgt. Mein Zugang war nicht meine pers?liche "Sozialgeschichte", sondern meine festen Wertvorstellungen im Bereich Naturschutz sowie der Vorrang des konkreten Lebens vor Ideologien.

Die Schweiz ist kein homogenes Gebilde. Herkunft ist ein wichtiger Faktor, es gibt unter anderem Immigrationzusammenh?ge, l?dliche und st?tische Herkunft usw. Finden sich hier neben feministischen Selbstbeschreibungen auch spezifische Weiblichkeitskonzepte?

Heidi Witzig: Auf jeden Fall. Auf meinen Vortragsreisen komme ich viel in der Schweiz herum, auch an die sogenannten Frauenzmorgen. Dort sehe ich immer wieder Hausfrauen, die sich samt und sonders vor die Wahl gestellt f?len: Feminismus oder Weiblichkeit. Das ist v?lig internalisiert und viele junge Frauen leiden darunter, aber sie haben gew?lt und stellen die Wahl an sich nicht infrage. In ihren Augen bedeutet Feminismus den Kampf gegen den eigenen Mann. Sie wollen und k?nen das, bei einer traditionellen Rollenteilung, nicht riskieren. Ich sehe kaum so viele resignierte Gesichter wie an diesen Frauenzmorgen.

Martina Meier: Ich stelle mir bei meinen Sch?erinnen auch oft die Frage, ob die gesellschaftlichen Realit?en so stark sind, dass M?ner sich auf allen Ebenen besser verwirklichen k?nen als Frauen, oder ob das nicht wiederum nur eine Konstruktion ist. Ich stelle fast alle Varianten fest: Emanzipierte junge M?ner, sehr konventionelle junge Frauen, daneben auch gewaltverherrlichende Machos und rebellische M?chen.

Heidi Witzig: In meinen Augen handelt es sich um ein Schichtproblem. Woher stammst du, was hat die Mutter, was hat dir der Vater vermittelt, hast du ein stabiles Selbstwertgef?l schon als junge Frau gehabt – , und wenn dann die Krise ... in solchen Bedingungen suchst du dir dann schnell einen Mann. Damit bist du den Druck los, daf? dann abgel?cht.

H?gt nicht der politische Regress im feministischen Selbstverst?dnis auch mit dem Siegeszug des Neoliberalismus zusammen? Hat er nicht einen R?kzug ins Private bewirkt?

Martina Meier: Wirtschaftslage, Wirtschaftsideologie und die eigene Definition von Frausein, Weiblichkeit, weiblicher Karriere, weiblichem Lebensentwurf –, da stelle ich schon einen Zusammenhang fest.

Oft wird Wirtschaftsideologie nicht als solche erkannt, sie wird leider von vielen als Naturgewalt akzeptiert. Fehlt der Versuch, ideologiekritisch zu sein, auf jeder Ebene, dann ist auch der Weg zum Feminismus verbaut. Feminismus ist nichts anderes als in der aufkl?erischen Tradition zu fragen: was l?ft hier ab?

Feminismus also als Widerstandshaltung, Gegenentwurf zu Missbrauchsstrategien von Herrschaft?

Heidi Witzig: Ich bin mit dieser Definition einverstanden, aber bei der privilegierten jungen Generation stelle ich auch gewisse Widerst?de dagegen fest, die auch eine gewisse Berechtigung haben. Die heutige Zeit zeichnet sich aus durch Individualisierung, durch individuelle M?lichkeiten, unter Umst?den auch f? Frauen. Bei diesem Spiel wirst du mit der Zeit m?e, politische Kategorien zu ber?ksichtigen wie beispielsweise Frauendiskriminierung. Die schleifst du von fr?er her mit, sagst dir aber, ich habe das gar nicht mehr n?ig, ich bin ja aktiv. Damit geht in der jungen Generation eine Entpolitisierung einher. Das habe ich anfangs ?erhaupt nicht begriffen, diese Haltung: f? einige Dinge schliesse ich mich mit M?nern zusammen, f? einige mit Frauen, dritte Sachen interessieren mich ?erhaupt nicht. In dieser Generation ist ein neues Politikverst?dnis vorhanden. Ich begreife das, f? uns ist das ungewohnt und wirkt unzuverl?sig.

Martina Meier: K?nen wir das nicht als Chance begreifen, den Feminismus neu zu ?erdenken? Ich habe das f? mich getan. Fr?er dachte ich: Feminismus ist nur der Kampf gegen Diskriminierungen in ?fentlichen R?men. Das Kulturkritische des Feminismus habe ich v?lig untersch?zt. Wir m?sen eine Kulturperspektive aus der Sicht der Frauen zu entwickeln suchen, die Gewalt- und Herrschaftsmechanismen heutiger Systeme ?erwindet.

Sind wir auf dem Weg zu einer Emanzipation der Emanzipation, f? welche die Frauenbewegung die notwendige Vorstufe darstellt?

Heidi Witzig: In der Folge der Dekonstruktionsbewegung wird heute von Emanzipationen geredet. Emanzipationen sur place, auf der ganzen Welt, in allen Generationen und beiden Geschlechtern.

Wo ist denn der gemeinsame Nenner in der Differenz von Emanzipationsbewegungen?

Heidi Witzig: Ganz klar, die M?lichkeit, ein Subjekt zu werden, vom Objektstatus wegzukommen, Fremdbestimmungen zu entkommen.

Martina Meier: Alle Menschen sollen Menschen sein k?nen – davon sind wir heute meilenweit entfernt. Auch die Wissenschaft tr?t enorm zu diesen Missst?den bei. WissenschafterInnen m?sen die Haltung der Naturwissenschaften, alles beherrschen und ausbeuten zu wollen, endlich auf den M?lhaufen der Geschichte werfen. Dazu braucht es unglaublich viel Arbeit. Denn die Wissenschaft bringt Technologien hervor, die eine rasante Eigendynamik haben. Computer-, Atom- und Gentechnologie haben ungeheure Sch?en angerichtet. In jeder Kultur gilt es, die Zentren patriarchaler Macht anzugreifen und Alternativen zu entwickeln. In der Schweiz, einem Zentrum von Finanz- und Wissenschaftspolitik, k?nen wir Feministinnen vieles zur Entlarvung des Systems beitragen, gehen unsere Analysen doch noch tiefer als diejenigen der traditionellen Linken.

Die Naturwissenschaften schaffen ein Wissenspotenzial, das auch die Anwendungen definiert. Dazu kommt die enorme technologische Beschleunigung. Entsteht nicht daraus eine zunehmende Differenz zu den Zeitgeschichten und Zeitmodellen weiblicher Existenz?

Martina Meier: Es ergibt sich daraus eine unhaltbare Situation und deshalb bek?pfe ich auch diese Technologien. Die Ideologie, die uns die ?erlegenheit ?er die Natur einredet, treibt die gesellschaftliche Entwicklung voran. Wir sind dadurch gezwungen, gegen unsere eigenen k?perlichen Voraussetzungen zu handeln. Das ist der H?epunkt der Unterdr?kung. Maria Mies beschreibt das in ihren B?hern als die "Industrialisierung des Lebens". Betrachtet ein Mensch seinen K?per nur noch als Ersatzteillager, ist das ein H?epunkt der Unterdr?kung.

Heidi Witzig: Zu Beginn der Industrialisierung war die Beschleunigung genauso revolution? wie die heutige. Das Problem war ein ?nliches wie heute, n?lich, dass die Frauen mit Natur gleichgesetzt werden, denn sie haben einen eigenen Zyklus und Rhythmus; demgegen?er wurde der verstandesbestimmte Mann gestellt, der sozusagen im Puls der Zeit schl?t. Diese Dichotomie gilt es aufzul?en.

Martina Meier: Die Gleichsetzung von Frau und Natur ist Unsinn. M?ner sind ja genauso an die Natur gebunden, produzieren so und so viele Spermien usw. Viele intellektuelle M?ner wollen dies aus ideologischen Gr?den einfach nicht wahrhaben.

Ist das Leiden an dieser einseitigen Zuweisung bei jungen Frauen nicht gr?ser geworden? Kommen wir damit nicht auf den Kern feministischer Diskussion zur?k?

Heidi Witzig: Dieser Anspruch auf Ganzheitlichkeit betrifft auch junge M?ner, das kannten wir in den Siebzigerjahren noch nicht.

Martina Meier: Wir kommen wieder auf einen gewissen Kern des Feminismus zur?k. Nehmen wir Judith Butler: Sie will den Unterschied zwischen Mann und Frau aufheben auf der Ebene der Angepasstheit an Technologie. Sie macht aber genau den Fehler, diese ?erst?zte Technologieentwicklung als Naturgewalt zu akzeptieren. In diesem Sinne negiert sie, dass es ?erhaupt eine K?perlichkeit, ja ?erhaupt eine Differenz gibt.

Heidi Witzig: Sie negiert, dass diese Differenz essenziell ist. Es ist aber eine Differenz, die du inszenieren kannst wie andere Differenzen auch. Meine Studentinnen sind v?lig fasziniert von Butler.

Martina Meier: Es gibt Situationen im Leben, da erf?rt man die Gesetze der K?perlichkeit deutlicher – das ist nicht unbedingt, wenn man an der Uni sitzt und ein Buch liest.

Was ist denn aus der feministischen Wertedebatte geworden, zum Beispiel in Hinblick auf die Nutzung mit der Natur?

Heidi Witzig: Diese Debatte gibt es noch. Der kulturelle Feminismus vertritt die Ansicht, dass auf der Seite der Frauen beispielsweise ein besseres Bewusstsein f? Natur zu finden ist.

Martina Meier: Es gibt ein weites Spektrum von Ansichten. Von einem – von mir aus gesehen – vern?ftigen ?ofeminismus, bis zu einzelnen Autorinnen wie z. B. Gerda Weiler, die allen Ernstes behaupten, Frauen seien von Natur aus die besseren Menschen...

Heidi Witzig: Oder auch Christa Mulak. Der kulturelle Feminismus treibt diese Debatte weiter. Aber in der Phase der Dekonstruktion, in der wir uns befinden, mutet sie archaisch an.

Martina Meier: Aber wir m?sen diese Debatte weiterf?ren. Wenn man so emp?t ist wie ich ?er den Umgang mit der Natur oder ?er gewisse Missbr?che ganz allgemein hat man ganz klar Wertvorstellungen. Wie bringt man die mit Feminismus zusammen? Ich glaube, dass gewisse ethische Vorstellungen universal sind, d.h. von allen Menschen auf der Welt geteilt werden. Ein Nachweis ist aber schwierig, ich w?e f? eine empirische Untersuchung.

Heidi Witzig: Aber das ist auch eine politische Haltung. Bis du eine universale Ethik entworfen hast, bist du tot.

Martina Meier: Ja. Aber ich stelle mich der Frage, wie sich das m?lichst ideologiefrei untersuchen l?st. Ich halte solche Untersuchungen auch f? wichtig, denn einfach so Werte als universal zu erkl?en, k?nte politisch auch problematisch sein.

Was sind das f? Werte? Leidensverhinderung, Instrumentalisierung ...?

Martina Meier: Menschen jeder Kultur haben Grundbed?fnisse nach Aufgehobensein in einer Gemeinschaft, sozialer Anerkennung, und nach einem gewissen Mass von Subjektwerdung. Das Letztere kann stark variieren. Weiter sind Leidensvermeidung wichtig, sowie eine Perspektive, d.h. ein Gestaltungsbed?fnis. Ich gehe davon aus, dass diese Menschen allen gemeinsam ist und dass in jeder Kultur Menschen diese Bed?fnisse befriedigen m?hten.

Dazu bedarf es politischer Strukturen. Nationale politische Strukturen werden aber zunehmend untauglich, Missbr?che und ihre Auswirkungen werden transnational. Wie k?nen wir aus feministischer Sicht diesen Anforderungen gerecht werden?

Heidi Witzig: In meinen Jahrzehnten als Feministin habe ich gelernt, dass ich auch im interkulturellen Bereich nicht mehr f? andere sprechen kann und will. Jede Gruppe muss ihre Bed?fnisse selbst formulieren – ich kann zuh?en. Zum Beispiel als Pr?identin des Solifonds, einer Organisation, die Gewerkschaften und Basisorganisationen in der Dritten Welt unterst?zt. Im Prozess der Kritik an der hegemonialen weissen Definitionsmacht haben wir unsere Lektion gelernt. Es hat sich dort gezeigt, dass eine Vorstellung, die auch der Feminismus pflegt, nicht wahr ist: n?lich, dass einzelne Gruppen aus anderen Kulturen nicht sehr klar formulieren, was sie wollen. Daher ist die Frage, welche politischen Instrumente geschaffen werden m?sen, um einen Dialog zu erm?lichen und ihn auch umzusetzen.

Wie steht es denn mit den stimm- und rechtlosen Mitgliedern der Gesellschaft, auch bei uns?– etwa den Kindern, den Ausl?derInnen?

Heidi Witzig: In einem hochindustrialisierten Land mit einigermassen demokratischen Strukturen kannst du versuchen, den Rechtlosen zu ihrer Stimme zu verhelfen, beispielsweise mit einem Stimmrecht f? Ausl?derInnen. Das ist auch klar ein feministisches Anliegen.

Martina Meier: Feminismus ist aber nicht nur eine Form der Politik zugunsten der Entrechteten. Ich verstehe ihn noch etwas weiter: eine kulturkritische Haltung, die nicht nur momentane Sch?en ?erwinden will, sondern nachhaltige Strukturen f? die Zukunft schaffen will, sodass menschliche Grundbed?fnisse erf?lt werden k?nen, das w?en Nahrung, Dach ?er dem Kopf und kulturelle Identit?. Aber die andere Seite geh?t auch dazu: nicht nur f? wen wir eintreten, sondern auch gegen wen wir k?pfen. Welche Institutionen haben die Macht, wo bin ich?

Heidi Witzig: Und dabei kommst du mit der Geschlechterfrage extrem in den Clinch. Als Frau gegen die m?nlich dominierten Strukturen: diese Rechnung geht heute nicht mehr auf. Eine Individualisierung ist unabdingbar. Da k?pfst du unter Umst?den mit M?nern gegen Frauen. Es gibt einzelne Exemplare, die sich emporgehangelt haben, auch gibt es sehr viele Mitt?erinnen, die vom System profitieren. Dadurch wird die Geschlechterfrage v?lig aufgebrochen.

Martina Meier: Nicht v?lig; von den Wertvorstellungen und von der Art der Analyse her haben wir noch den feministischen Ursprung. Und einige M?ner, die ich kenne, sagen, die feministische Analyse habe sie ein St?k weitergebracht. Mit diesen gehen wir nat?lich B?dnisse ein.

Sind Einstehen f? universelle Werte und kultureller Relativismus nicht widerspr?hlich?

Martina Meier: Nein, das leistet der Feminismus eben viel besser als diese alten Theorien. Jede einzelne Kultur ist ernst zu nehmen, andererseits muss gesehen werden, dass gewisse Bed?fnisse universell sind, woraus man auf universelle Werte schliessen kann. Ich behaupte, dass es das gibt, wobei ich auch zuh?e, was andere sagen. So schliessen sich universelle Werte und Eingehen auf jede einzelne Kultur ?erhaupt nicht aus.

Heidi Witzig: Das gilt auch in unserer Gesellschaft, denn Kulturrelativismus gibt es auch bei den Bildern, die die Geschlechter voneinander haben. Ganzheitliche Bilder von M?nern und von Frauen sind ja auch bei uns im Widerstreit mit traditionellen. Da stellt sich dann die Frage, welche Bilder stecken hinter welchen Positionen, und daraus ergeben sich dann wiederum momentane Koalitionen. Dort lassen sich Bilder von den Geschlechtern auch ver?dern.

Geht es denn in euren Projekten um Verminderung oder gar Aufhebung von Entfremdung?

Heidi Witzig: Ich halte genau das in unserer Kultur f? ein Riesenproblem. Was wir normalerweise als backlash definieren, ist doch nur Propagierung einer unendlichen Entfremdung, Weiblichkeit als Konzept einer Abspaltung der Frauen von sich selbst, M?nlichkeit als Pendant bei den M?nern. In den hochindustrialisierten Gesellschaften wirft uns diese Ideologie von M?nlichkeit und Weiblichkeit wieder um Jahrzehnte zur?k.

Martina Meier: Die Entfremdung nimmt zu, dazu tr?t gerade auch die Technologiespirale bei. Vereinfacht gesagt: So wie die Technologien rollen, so kommen auch die entsprechenden Ideologien daher. In den industrialisierten L?dern haben wir zwar am meisten Macht, aber wir sind nicht im Zentrum der Welt. Ich hoffe, dass die Bestrebungen der Menschen im S?en, Herrschaft und Entfremdung abzusch?teln, von Erfolg gekr?t sein werden. Von diesen k?nen wir im ?rigen noch eine Menge lernen. Grunds?zlich k?nen wir Feministinnen in jedem Land viel dazu beitragen, die Geschichte von Entfremdung aufzurollen und die Grundlagen f? deren Aufhebung zu schaffen.

Heidi Witzig: Bis aber nach dem backlash die F?en feministischer Analyse wieder durch eine Generation aufgenommen werden, wird es noch ein Weilchen dauern.

Heidi Witzig ist selbstst?dig erwerbende Historikerin und Pr?identin des Solifonds.
Martina Meier ist Biologin und Gymnasiallehrerin in Bern. Sie ist seit ?er zehn Jahren im Vorstand der feministischen Organisation gegen Gen- und Reproduktionstechnologien NOGERETE.

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