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Redaktionsgespr?h 6/7.99  mit Professor Walter K?in

Spiel mit dem Feuer

Eine v?kerrechtliche Beurteilung des Kosov@-Krieges

Eigentlich herrscht zwischen allen Fronten, den Bef?wortern und Gegnern dieses Krieges, Einigkeit zumindest ?er eine Sache: der Nato-Angriff gegen Serbien ist v?kerrechtlich gesehen illegal. "Illegal, aber legitim" wird dann dazu jeweils erwidert. MOMA wollte es genauer wissen. Der Berner Staats- und V?kerrechtsprofessor Walter K?in gibt im Gespr?h umfassend Auskunft ?er das v?kerrechtliche Gewaltverbot, Ausnahmen davon, die Einsch?zung des Nato-Schlages, die ?liche Weiterentwicklung des V?kerrechtes, den "gerechten Krieg", Vorschl?e einer Reform des Vetos im Sicherheitsrat oder der Urteile internationaler Gerichte und Streitschlichtungsmechanismen und Alternativen, Konflikte auch ohne bewaffnete Angriffe zu bew?tigen.

Das V?kerrecht beinhaltet ein Gewaltmonopol der Uno, dennoch werden auf dieser Welt t?lich Kriege gef?rt. Welchen Stellenwert geben Sie dem heutigen v?kerrechtlichen Gewaltmonopol der Uno?

Walter K?in: Es werden zwar t?lich Kriege gef?rt in der Welt, aber seit dem Ende des Kalten Krieges sind zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte eher selten geworden. Das Gewaltverbot der Uno-Charta erfasst nur zwischenstaatliche Konflikte, nicht aber B?gerkriege. Die Uno-Charta richtet sich nicht direkt an Aufst?dische. In dieser Beschr?kung des Gewaltverbotes zeigt sich deutlich die historische Herkunft der Charta: Sie wurde von den Alliierten des Zweiten Weltkrieges geschaffen, um angesichts einer Konfrontation mit einem "neuen Hitler" handlungsf?ig zu sein und sofort auf Aggression vonseiten eines Drittstaates reagieren zu k?nen. Die Gr?der konzipierten die Uno somit im Kern als kollektives Verteidigungsb?dnis der Siegerm?hte. Universell ist diese Organisation erst viel sp?er geworden. Seither bedeutet das Gewaltverbot, dass die Staaten selbst nicht mehr dar?er entscheiden d?fen, ob sie Krieg f?ren wollen.

Im Moment f?rt die Nato eine Intervention im Kosovo durch. Wie beurteilen Sie diese Intervention aus v?kerrechtlicher Sicht?

Diese Frage l?st sich auf verschiedenen Ebenen beantworten. Die Antwort f?lt anders aus, je nachdem ob man sich an das v?kerrechtlich Gesicherte, an das rechtlich allenfalls Vertretbare oder aber an W?schbares h?t, das klar ?er das geltende Recht hinaus geht. Gesichert sind zwei Dinge: Erstens der Grundsatz, dass Staaten gegen andere Staaten Waffengewalt nur zur Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff einsetzen d?fen, wobei ein angegriffener Staat sich auch zusammen mit verb?deten M?hten zur Wehr setzen darf, solange der Sicherheitsrat der Uno (SR) nicht selbst effektive Massnahmen zur Friedenssicherung ergreift. Zweitens ist Gewalt ausserhalb der Selbstverteidigungssituation dann legal und erlaubt, wenn der SR ein entsprechendes Mandat erteilt hat. ?er diese bereits im Text der Charta angelegten Rechtfertigungsm?lichkeiten milit?ischer Eins?ze l?st die Praxis der vergangenen Jahrzehnte bewaffnete Gewalt in einigen weiteren F?len rechtlich vertretbar erscheinen: Dazu geh?t zum Beispiel die Befreiung eigener Staatsangeh?iger mit Waffengewalt aus fremdem Staatsgebiet. Als Pr?edenzfall wird etwa die Befreiung israelischer Geiseln im Jahre 1976 auf dem Flughafen Entebbe (Uganda) durch ein israelisches Kommando genannt. Es zeichnet sich auch ab, dass entgegen dem Wortlaut der Uno-Charta regionale Organisationen wie die OAU auf ihrem eigenen Gebiet mit Waffengewalt intervenieren d?fen, wenn der Frieden in diesem Gebiet gef?rdet ist oder wenn es um schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen geht. In diesem Sinn hat der SR die milit?ischen Aktionen von ECOWAS-Truppen in Liberia und Sierra Leone wiederholt gutgeheissen. In den Bereich von allenfalls w?schbarem, aber erst zu schaffendem neuem Recht kommen wir m.E. bei Argumenten, die heute teilweise f? die Rechtfertigung der Nato-Aktionen angef?rt werden und an der Idee eines internationalen "Ordre public" ankn?fen. Dieser juristische Fachausdruck beinhaltet die Vorstellung, dass es eine ?ergreifende internationale Wertordnung und einen Kernbestand von ganz hochwertigen Anliegen gibt, welche unter allen Umst?den durchgesetzt werden m?sen und so vorrangig sind, dass bestehende Rechtsvorschriften unter Umst?den. auf die Seite geschoben werden d?fen. Wir kennen in diesem Zusammenhang etwa die Figur des zwingenden V?kerrechtes (ius cogens), das allen ihm widersprechenden Rechtsnormen ohne weiteres vorgeht und diese nichtig macht. Wir kennen auch die Vorstellung, dass es neben einfachen, sozusagen "normalen" V?kerrechtsverletzungen derart schwerwiegende Verletzungen des V?kerrechtes gibt, dass man sie als eigentliche Verbrechen der Staaten bezeichnen kann. Diese Idee wird momentan von der V?kerrechtskommission der Uno im Zusammenhang mit der Kodifizierung der Regeln ?er die Staatenverantwortlichkeit debattiert. Auch wenn der Begriff der v?kerrechtlichen Verbrechen der Staaten, da zu stark vom Strafrecht inspiriert, etwas ungl?klich ist, zeigt er doch, dass gewisse V?kerrechtsverletzungen besonders verabscheuungsw?dig sind. Zu diesem Kernbestand an Werten und Normen geh?en nat?lich die Verbote von Genozid oder systematischen ethnischen S?berungen. Hier setzen in der aktuellen v?kerrechtlichen Diskussion die Argumente zur Rechtfertigung der Nato-Intervention an. Wenn der Sicherheitsrat nicht handlungsf?ig ist und derartig hochrangige Werte betroffen sind, kann man dann nicht auf Beschl?se des SR verzichten, soll dann nicht jeder Staat, jede Staatengruppe milit?isch intervenieren k?nen? Dar?er l?st sich debattieren; ich bin aber der Ansicht, dass diese Sicht dem jetzigen Stand des V?kerrechtes nicht entspricht, sondern weit dar?er hinausgeht. Was im V?kerrecht gilt, h?gt eben zum gr?sten Teil vom Konsens der Staatengemeinschaft ab. Dies erweist sich oft als Schw?he des V?kerrechts, ist paradoxerweise aber gleichzeitig auch seine St?ke: Wo ein Konsens gefunden wird, besteht ein h?erer Grad an Legitimit? und damit an Durchsetzbarkeit in einer Situation, in welcher eine eigentliche Weltregierung fehlt. Heute sehe ich noch keinen Konsens der Staatengemeinschaft dar?er, dass auf juristisch als v?kerrechtliche Verbrechen qualifizierbare Geschehnisse (d.h. Verst?se gegen den v?kerrechtlichen Ordre public), wie sie im Kosovo vonseiten der serbischen Regierung zu verantworten sind, einseitig mit Waffen reagiert werden darf. Ob sich k?ftig ein solcher Konsens herausbildet, bleibt abzuwarten. Zusammenfassend ist also die heutige Intervention im Kosovo demnach v?kerrechtswidrig, sie basiert nur auf einer m?lichen Interpretation des bestehenden V?kerrechtes, mit dem Anspruch, dass sich das V?kerrecht dorthin entwickeln sollte?

Die internationale Rechtsordnung ist mit dem Problem konfrontiert, dass keine oberste Instanz existiert, die in allen F?len verbindlich sagt, was V?kerrecht ist und was nicht. Deshalb m?sen wir, wenn wir nicht naiv rechtspositivistisch argumentieren wollen, die gegenw?tige Problematik in einer zeitlichen Perspektive sehen. Es wird sehr wichtig sein, wie die Uno in den n?hsten Wochen und Monaten reagiert. M?licherweise wird sich im SR auch bei Russland und China die Auffassung durchsetzen, dass angesichts gravierendster Menschenrechtsverletzungen auf der Seite von Serbien und wegen des Ausmasses der humanit?en Katastrophe im Kosovo auf eine Verurteilung der Nato verzichtet werden soll, auch wenn deren Vorgehen nicht legal war. Eine solche Haltung k?nte Ausgangspunkt f? eine Weiterentwicklung des V?kerrechtes hin zu einem Interventionsrecht der Staaten zum Schutz der Opfer schwerwiegendster Menschenrechtsverletzungen sein. M?lich ist aber auch, dass die Nato kurz- oder mittelfristig ausserhalb der westlichen Staaten auf scharfe Kritik stossen wird, weil Staaten der Dritten Welt bef?chten, das Argument, man d?fe in solchen F?len milit?isch intervenieren, k?nte allzu leicht missbraucht werden. Der Begriff der humanit?en Intervention ist historisch negativ vorbelastet. Er stammt aus dem 19. Jahrhundert, wo er v.a. dazu diente, die Verfolgung von Christen im osmanischen Reich zum Vorwand f? milit?ische Aktionen zu nehmen, bei welchen imperialistische Interessen in Wirklichkeit wichtiger als der Schutz verfolgter Menschen waren. Aus Angst vor solchem Missbrauch humanit?er Argumente wird deshalb zumindest ein Teil der Staaten daran festhalten, dass auch f? Interventionen zum Schutz der Menschenrechte eine Autorisierung durch den Sicherheitsrat n?ig bleibt. Damit kommen wir allerdings zur Frage: Was ist zu tun, wenn der SR nicht entscheidf?ig ist?

Illegal aber legitim ist eines der Argumente, die man f? die Intervention gibt, auch weil es wahrscheinlich war, dass Russland und China im SR ihr Veto einlegen w?den. Es gibt aber noch weitere Beispiele f? andere M?lichkeiten: War eine Selbstmandatierung der Nato wirklich der einzige gangbare Weg?

Die Frage der Selbstmandatierung beim Einsatz von Gewalt zum Schutze hochwertiger Interessen kann so oder so nur ultima ratio sein. Das hat auch einen verfahrensrechtlichen Aspekt: Es m?sen zuerst alle anderen Mittel vollst?dig ausgesch?ft sein. Im Fall Kosovo wurden nicht alle Mittel ausgesch?ft. Man musste zwar ein Veto im SR erwarten, hat die Frage diesem Organ aber gar nicht vorgelegt. Dabei w?en die Argumente f? ein Veto interessant gewesen; sie h?ten gezeigt, ob die Verhinderung einer Resolution ?er den Waffeneinsatz gegen Serbien im Sinne einer bewussten Schonung eines Rechtsbrechers rechtsmissbr?chlich gewesen w?e, oder ob Russland und China f? ihre Opposition tragf?igere Begr?dungen gehabt h?ten. Bei einem Veto h?ten die Nato-Staaten im Sinne der sog. "Uniting for Peace"-Resolution der GV aus dem Jahre 1950 an die GV gelangen k?nen. Diese Resolution hielt fest, die GV habe das Recht, Empfehlungen f? Kollektivmassnahmen inklusive des Einsatzes bewaffneter Gewalt abzugeben, wenn der Sicherheitsrat wegen Uneinigkeit seiner st?digen Mitglieder handlungsunf?ig sei. Unmittelbarer Anlass f? diese Resolution war die Blockierung des Sicherheitsrates in der Korea-Krise. Nat?lich ist offen, wie die Generalversammlung reagiert h?te. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Staaten der Dritten Welt bef?chtet h?ten, eine positive Stellungnahme h?te den USA zusammen mit der Nato das Recht verschafft, in verschiedenen Teilen der Welt legal zu intervenieren. Das ist aber bloss eine Vermutung, und wir wissen nicht, wie der Entscheid tats?hlich ausgefallen w?e. Diese Unterlassungen st?en mich nicht in einem formalen Sinn. Das Konzept der Uno-Charta macht vielmehr in der Sache sehr viel Sinn. L?gerfristig gesehen ist es ein Spiel mit dem Feuer, leichtfertig den SR zu umgehen. Die Welt ist nun einmal so, dass sich unter Umst?den Recht nur mit Gewalt durchsetzen l?st. Wir kennen das innerstaatlich bei der Polizeigewalt, die Opfer von Verbrechen oft zu sch?zen vermag. Die Monopolisierung der Gewalt bei einem offiziellen Organ macht Sinn, weil sie konfliktmindernd und friedensstabilisierend wirkt; solche Gewalt ist legitim, wenn ihr Einsatz auf Entscheiden von Organen beruht, welche in den daf? vorgesehenen Verfahren und auf der Basis von Grunds?zen ergangen sind, die im Voraus rechtlich verankert wurden. Diese ?erlegungen haben nun ganz praktische Konsequenzen. Greift man milit?isch ein, ohne diese Legitimation durch Verfahren zu besitzen, ist man rechtlich gesehen in einer Defensivposition: Dies ist im konkreten Fall w?tlich zu verstehen: Jene zehn Nato-Staaten, die am 29. April von Serbien beim Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen Verletzung des V?kerrechts eingeklagt worden sind, werden sich vor dieser Gerichtsinstanz zu verteidigen haben. Politisch droht eine gewisse Isolation, weil wichtige Unterh?dler, wie im Fall Kosovo Russland, am Rande stehen und wie man in den letzten Tagen und Wochen sah nur mit viel M?e wieder ins Spiel gebracht werden k?nen. Das schadet nicht nur der Sache, das schadet letztlich auch dem Recht. Dazu kommt ein zweiter Punkt: Auch wenn der IGH als oberste Instanz in gewissen F?len entscheiden kann, bleibt das V?kerrecht eine stark dezentralisierte Rechtsordnung, in welcher die Staaten als Hauptakteure das Recht schaffen und es auch durchsetzen. Hier ist nur tragf?ig, was sich nicht an abstrakten Vorstellungen orientiert, sondern durch einen effektiven breiten Konsens getragen wird. Diese Legitimationsgrundlage wird nat?lich gef?rdet, wenn genau dasjenige Forum, das f? die Konsenssuche in Fragen von Krieg und Frieden zust?dig ist, geschnitten wird. Die Verhandlungen im SR sind oft z? und langwierig, oft undurchschaubar f? Nicht-Diplomaten, aber letztlich macht der Weg diplomatischer Verhandlungen Sinn: Bei aller Macht, die mitspielt, finden sich darin Elemente von Verfahren, die zwar sicher nicht dem Ideal des Habermasschen Diskurses entsprechen, aber trotzdem ein Mindestmass an Rationalit? erlauben, und sei es auch nur eine Verfahrensrationalit?, die zur gemeinsamen Erkenntnis f?rt, dass im Angesicht schwerster Menschenrechtsverletzungen keine andere M?lichkeit als der Waffeneinsatz gegen den Rechtsbrecher besteht. Diese Chancen gef?rdet leichtfertig, wer die Uno umgeht.

Welche Interessen stehen hinter den Rechtsbeugungen und Interpretationen?

Im Kosovo gibt es kein ? und auch sonst wenige Ressourcen; es ist schwierig, dahinter wirtschaftliche Interessen zu suchen. Sie spielen aber sicher eine Rolle; so ist die Destabilisierung im Balkan f? Europa zu einer Last geworden, die sich in Euros und Dollars ausdr?ken l?st; denken wir an den Wiederaufbau, denken wir an die Kosten der Absicherung des Waffenstillstandes in Bosnien. Im Vordergrund sehe ich vor allem europ?sche Interessen daran, den prim?en St?enfried Milosevic auszuschalten und seine Armee zu zerst?en. Daneben gibt es aber naheliegendere, nicht wirtschaftliche Interessen. Auf europ?scher Seite steht das Fl?htlingsproblem weit im Vordergrund. Auch wenn der Krieg m?licherweise zus?zliche Fl?htlingsstr?e ausgel?t hat, war bereits nach dem Scheitern der Verhandlungen in Rambouillet offenkundig, dass die Vertreibungen aus dem Kosovo wenn auch langsam, so doch bewusst voranschreiten und die Zahlen der Fl?htlinge und MigrantInnen zunehmen w?den; dem wollte man mit einer Milit?aktion den Riegel schieben. Das drohende Fl?htlingsproblem darf als Kriegsursache nicht untersch?zt werden.

Aber worin besteht denn die Motivation der USA? Sie erscheint ja als treibende Kraft.

Sind die USA wirklich die treibende Kraft? Ohne die Europ?r und ohne ihre Einigkeit w?e die Intervention meiner Meinung nach nicht zustande gekommen. Nat?lich hatte der amerikanische Pr?ident in seiner unangenehmen innenpolitischen Situation und angesichts des langen Engagements der USA in Bosnien ein Interesse daran, die Situation mit Gewalt zu bereinigen. Aber wir haben hier angesichts der wichtigen politischen Rolle der Europ?r kaum ein Paradebeispiel eines amerikanischen Imperialismus vor uns.

Es wird behauptet, eine nachtr?liche Mandatserteilung durch die Uno w?de auch im Nachhinein die Intervention legalisieren und v?kerrechtlich absichern. Ist eine solche nachtr?liche Legalisierung v?kerrechtlich m?lich?

V?kerrecht ist sehr deutlich geschichtlich bedingtes Recht. H?fig ist es erst im Nachhinein zu beurteilen, was legitim wie auch legal gewesen ist. Nachtr?liche Legalisierungen gibt es im V?kerrecht immer wieder. So hat, wie bereits erw?nt, der SR den nicht ?er alle Zweifel erhabenen Einsatz von ECOWAS-Truppen in Liberia nachtr?lich gebilligt. In der aktuellen v?kerrechtlichen Diskussion hat etwa der ehemalige Pr?ident des Kriegsverbrechertribunals f? Ex-Jugoslawien, Prof. Cassese, die Meinung vertreten, der Fall Kosovo k?nte der Ausgangspunkt f? die Bildung von neuem Gewohnheitsrecht sein, welches Staaten erlaubt, angesichts schlimmster Menschenrechtsverletzungen milit?isch zu intervenieren. Ich zweifle daran, dass die Entwicklung so verlaufen wird. Allerdings wird man erst r?kblickend beurteilen k?nen, ob gen?end viele Staaten diese neue Position ?ernommen haben, oder ob die Abweichung vom geschriebenen Recht als Rechtsverletzung eingestuft werden wird. Dies ist f? mich aber nicht die Kernfrage. Vielmehr sollten wir uns fragen, welche Fehler zur heutigen Situation gef?rt haben. Meines Erachtens hat die Staatengemeinschaft dem Treiben von Milosevic viel zu lange zugeschaut. Die M?lichkeit, am Ende des Bosnienkrieges ihn als Kriegsverbrecher anzuklagen, h?te bestanden, auch wenn es wie bei Karadzic wohl kaum zu einer Verhaftung gekommen w?e. Gerade Karadzic zeigt aber etwas ganz klar: Die Brandmarkung des politisch Hauptverantwortlichen und die daraus resultierende Konsequenz, dass ihn auf internationaler Ebene niemand mehr als Gespr?hspartner anerkennen kann, ?fnet innerhalb der betroffenen Staaten oder politischen Gebilden gewisse Spielr?me f? PolitikerInnen, die vorher im Hintergrund standen. Es gab in Serbien eine demokratische Bewegung; auch wenn nicht alle ihre F?rer ?er alle Zweifel erhaben sind, befanden sich dabei echte DemokratInnen. Milosevic jegliche Anerkennung zu versagen h?te vielleicht eine Chance f? eine andere Entwicklung geboten. Weitere Fehler wurden gemacht. Sicher richtig war es, OSZE-Beobachter nach Kosovo zu schicken; richtig war auch, sie zur?kzuziehen als man ihre Machtlosigkeit sah; richtig war auch, die Serben an den Verhandlungstisch zu zwingen. Ich frage mich aber, ob es klug war, damals gleich mit dem Einsatz von Milit?schl?en zu drohen. Mit Camp David und dem Dayton-?ereinkommen kennen wir den Typus erfolgreicher Konferenzen, welche wenigstens eine Reduktion von Menschenrechtsverletzungen und Gewaltanwendung zu bewirken verm?en. Wie die beiden Beispiele zeigen, bestehen solche Chancen aber eher in der Auslaufphase eines Konfliktes. Bei der Kosovo-Krise waren wir noch in einer Anlaufphase; die Vorstellung, hier innerhalb von vierzehn Tagen oder einem Monat zu vollst?diger Autonomie und zu Zusicherungen f? durchaus berechtigte Forderungen zu kommen, war ein St?k weit naiv. Die Verkn?fung der Verhandlungen mit der Kriegsdrohung brachte die Nato-Staaten in eine Zwangssituation: sie h?ten ihre Glaubw?digkeit verloren, h?ten sie nicht zu den Waffen gegriffen. Aus dem Blickwinkel des ethnischen S?berers war damit auch der Vorwand f? den Einmarsch im Kosovo gegeben.

Welche Mittel kann sich das V?kerrecht geben, ohne den Regress auf Gewalt v?kerrechtliche Normen durchzusetzen, auch gegen M?hte, die st?ker sind als das heutige V?kerrecht?

Ob das eine berechtigte oder aber eine v?lig naive Frage ist, wird sich erst weisen. Laufen die Dinge schlecht, werden wir nach der Kosovo-Intervention mit einer Welt konfrontiert sein, in welcher die Uno kaum mehr eine Rolle spielt, und die Regionalorganisationen f? sich beanspruchen, selber ihre hochwertigen Interessen zu definieren und milit?isch durchzusetzen. Dann ist es eine Frage der Zeit, bis wir beispielsweise ein ostasiatisches Verteidigungsb?dnis mit China haben, das f? seine hochwertigen Interessen, z.B. die Erhaltung weitgehendster staatlicher Souver?it?, k?pft; eine solche Welt w?e wenig friedlich und Ihre Frage, wie sich der heutige Zustand verbessern l?st, w?de m?sig. Vielleicht lernen aber auch alle Beteiligten, dass der Einsatz milit?ischer Gewalt zum Schutz der Menschenrechte zwar unter Umst?den n?ig bleibt, aber unbedingt der Legitimation durch Verfahren bedarf. Dann m?ste die Diskussion ?er die Reform des SR (die im Gang ist), unter diesem Gesichtspunkt angegangen werden. Es gibt tats?hlich einen Konstruktionsfehler im SR, der mit seiner historischen Entstehung zu tun hat. Die Alliierten des Zweiten Weltkriegs wollten gegen?er neuen Aggressoren ausserhalb ihres Kreises gewappnet sein, mit dem Vetorecht der st?digen Mitglieder des SR wurde aber verhindert, dass dieses Gremium handeln kann, wenn dadurch wesentliche Interessen einzelner Vetom?hte beeintr?htigt w?den. Deshalb wird der SR immer wieder handlungsunf?ig. Was aber ist zu tun, wenn der SR beim Kerngehalt der internationalen Gerechtigkeit: kein Genozid, keine Apartheid, keine Kolonialherrschaft, usw., unt?ig bleibt? Eine m?liche L?ung sehe ich nicht in der Aufhebung des Vetos; das Veto hat eine positive Funktion, indem es anzeigt, dass ein weltweiter Konsens besteht, wenn es, wie beispielsweise in der Allianz gegen Saddam Hussein, nicht ergriffen wird. N?ig ist aber eine repr?entativere Zusammensetzung der st?digen Mitglieder des SR und ein Verzicht auf das Veto als absolute Schranke: Das Veto sollte mit qualifiziertem Mehr ?erstimmt werden k?nen. Es gibt nationale Rechtsordnungen, wo sich solches bew?rt hat. Mit einer solchen Reform liesse sich das V?kerrecht st?ken und besser durchsetzen. Allerdings braucht es f? eine so weitreichende Reform die Initiative der Staaten wie auch den Druck der Zivilgesellschaft. Gerade in der Schweiz sollten wir uns bewusst werden, wie wichtig solche Mechanismen sind, auch f? uns.

Die St?ke des V?kerrechts h?gt in der Zukunft also davon ab, wie weit es partizipatives Recht ist, respektive seine Schw?he davon, wie weit es monopolisierte Rechtsetzung ist?

Genau. In diesem Punkt unterscheidet sich V?kerrecht nicht vom innerstaatlichen Recht. Partizipation legitimiert auch innerstaatliches Recht und rechtfertigt damit seine zwangsweise Durchsetzung durch die Staatsgewalt.

Der internationale Ordre public steht f? die Nato als schlussendliche Legitimation da. In der T?kei wird dieser Ordre public aber massiv verletzt; hier wird aber nicht eingegriffen. Hier gibt es eine offenkundige Differenz der Kriterien f? diesen Legitimationsgrund.

Schon in der bipolaren Welt des Kalten Krieges konnten die Grossm?hte ihre eigenen Klienten sch?zen; in einer hegemonialen Welt mit einer einzigen milit?isch f?renden Macht ?dert sich hier kaum etwas. Versch?ft wird das Problem durch das Fehlen einer ?erzeugenden v?kerrechtlichen Antwort auf das Problem der Selektivit?. Der internationale Ordre public schafft zwar Rahmenbedingungen f? Politik, determiniert diese aber nicht in dem Sinn, dass Politik bloss noch Vollzug von Rechtsnormen bedeutet. Im Bereich der milit?ischen Interventionen gegen Menschenrechtsverletzungen hat die Uno zwar die Kompetenz, Gewaltanwendung zu autorisieren, eine Pflicht dazu l?st sich aber aus der Charta oder anderen Quellen des heutigen V?kerrechts nicht ableiten. Wir sind sogar auf innerstaatlicher Ebene erst am Anfang einer Diskussion, ob die Betroffenen bei Grundrechtsverletzungen, die nicht durch den Staat, sondern durch Private ver?t werden, Schutzanspr?he gegen?er dem Staat besitzen (sog. Drittwirkung von Grundrechten). In j?gster Zeit hat der Europ?sche Gerichtshof f? Menschenrechte in Strassburg solche Schutzanspr?he im Zusammenhang mit dem Recht auf Leben und dem Verbot unmenschlicher Behandlung bejaht. Wohin diese Rechtsprechung aber im Einzelnen f?ren wird, ist weithin unklar. Es wird jedenfalls noch lange dauern, bis die Uno hier nachzieht und eine Interventionspflicht bei schweren Menschenrechtsverletzungen bejahen wird. Auch hier w?de eine Reform des SR ein St?k weit Verbesserungen bringen. Eine repr?entativere Zusammensetzung des SR und die M?lichkeit, ein Veto mit qualifiziertem Mehr zu ?erstimmen, erh?t die Chance, dass auch gegen den Willen einer Grossmacht die n?igen Massnahmen ergriffen werden k?nen, um gegen einen Staat vorzugehen, welcher zentralste Menschenrechtsgarantien auf gr?ste Weise verletzt.

Wer w?de denn intervenieren, wenn ein qualifiziertes Mehr sagen w?de, die USA verletzen Menschenrechte in Lateinamerika?

Wir d?fen nun nicht in eine Interventionseuphorie verfallen. Die Intervention mit Waffengewalt zum Schutze der Menschenrechte kommt wirklich nur in allerschlimmsten Situationen infrage. Wird wie im Kosovo ein Volk zu 50, 70 oder gar 100 Prozent aus seinem Gebiet vertrieben, haben wir so einen Fall. B?gerkriege mit Interventionen Dritter fallen trotz aller Grausamkeiten in der Regel nicht in diese Kategorie, und es w?e, selbst wenn der SR sich reformieren w?de, nicht damit zu rechnen, dass sich in solchen F?len eine qualifizierte Mehrheit f? bewaffnete Massnahmen der Uno gewinnen liesse. Nat?lich besteht zwischen Recht und Macht immer ein Spannungsverh?tnis. Ist die Macht zu einseitig, wird das Recht zur?kgestutzt. Gewisse Leute sehnen sich deshalb nach einer R?kkehr einer bipolaren Welt, in welcher ein Gleichgewicht des Schreckens Macht in die Schranken weist. Ich w?de hier eher auf den Abbau von Machtgef?len, d.h. die "Demokratisierung" der internationalen Beziehungen setzen. Eine ausgeglichenere Verteilung der milit?ischen Mittel geh?t ebenfalls dazu, daraus sollte allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass jetzt alle Staaten aufzur?ten h?ten. Wir m?sen schliesslich bescheiden genug sein, auf perfekte Rechtsdurchsetzung zu verzichten. Diese verlangt den Aufbau eines Zwangsapparates, womit man in letzter Konsequenz beim Polizeistaat endet. Es gilt, die Balance zu finden zwischen angemessener Rechtsdurchsetzung und dem Verlust der Freiheit durch den Zwangsapparat.

Fehlt denn eine Weltinnenpolitik, die die ultima ratio der Gewalt ?erfl?sig macht?

Wenn wir utopisch werden wollen, dann m?sten wir mehr Weltinnenpolitik fordern. Utopie deshalb, weil die Gefahr einer gegenl?figen Entwicklung real ist, dass die Regionen zunehmend das Recht in ihre eigenen H?de nehmen wollen. Die asiatischen Staaten sind sich beispielsweise trotz aller politischen Unterschiede sehr einig, dass die Souver?it? der Staaten ein Wert ist, den es zu verteidigen gilt. Auch das Wettr?ten zwischen Pakistan und Indien ist nicht nur im Lichte einer Rivalit? der beiden Staaten zu sehen, sondern auch als Ausdruck eines gemeinsamen Strebens, die Idee des Nationalstaates, der seine Interessen mit Waffengewalt verteidigt, zu st?ken und gegen?er der Welt?fentlichkeit zu betonen.

In verschiedenen Berichten kommt die Denkfigur des "gerechten Krieges" wieder zum Ausdruck. Laden die Staaten den Krieg wieder mit Moral neu auf?

Diese Denkfigur erlebt eindeutig eine Renaissance. Das klassische V?kerrecht hatte darauf verzichtet, den Krieg moralisch zu bewerten, und damit folgerichtig das ius ad bellum, das Recht auf Kriegf?rung zum Attribut des souver?en Staates erkl?t. Dieses Konzept l?te mittelalterliche Vorstellungen ?er den gerechten Krieg ab, welche die Kriegf?rung auf F?le beschr?ken wollten, in welchen die Akteure sowohl aus einem objektiv gerechten Grund als auch subjektiv in gerechter Absicht in den Kampf zogen. Sp?estens nach der Reformation und dem Zerfall des deutschen Reiches gab es keine moralische Instanz mehr, die h?te bestimmen k?nen, was gerecht und was unrecht ist, weshalb der ?ergang zum Konzept des Rechts auf Krieg leicht fiel. Die Uno-Charta ist eindeutig ein Schritt hin zur Wiederbelebung von Vorstellungen ?er den gerechten Krieg, wenn auch dahinter nat?lich nicht mehr die mittelalterlichen Vorstellungen stecken. Nach der Charta ist Krieg als Mittel der Politik nicht mehr zul?sig, sondern er wird durch das Gewaltverbot ausgeschlossen. Die Uno kann aber milit?ische Gewalt zur Durchsetzung hochrangiger Werte wie Selbstbestimmung der V?ker, Menschenrechte, Gleichheit aller Staaten, Weltfriede, usw. erlauben. Mit dem Ende des Kalten Krieges drangen viele moralische Argumente in die Politik der Uno ein, und zwar sowohl von milit?ischer Seite wie auch vonseiten der Zivilgesellschaft. In einem n?hsten Schritt beginnen jetzt die Staaten selber zu definieren, was ein gerechter Krieg ist. Es ist dieses Selbstdefinierungsrecht, das mir gef?rlich erscheint, weil die Konkurrenz zwischen verschiedenen Wertsystemen konfliktf?dernd wirkt. Daher ist die leichtfertige Umgehung der Uno ein Fehler. Hier tragen die USA eine besondere Verantwortung. Mit ihren noch laufenden Angriffen im Irak haben sie gezeigt, dass sie sich nicht mehr besonders um die Zust?digkeiten der Uno k?mern. Formaljuristisch besteht f? diese Angriffe zwar eine gewisse Grundlage, politisch haben die USA sich aber offenkundig daf? entschieden, ausserhalb der Uno zu agieren.

Agieren die Nato, die EU und die USA nicht vorz?lich auch geostrategisch, lassen wir die Fl?htlingsfrage einmal zur Seite?

Geostrategisch ist zu sagen: Der Balkan liegt mitten im EU-Europa, wenn wir an Griechenland oder die T?kei als EU-assoziierten Staat denken. Offenkundig geht es den EU-Mitgliedstaaten auch darum, in ihrer Interessensph?e Einfluss auszu?en. Eine andere, ebenso wichtige Frage ist aber: wie geht Europa mit seiner wiedergewonnenen milit?ischen Macht um? Und: wie definieren wir legitime Interessen und wo wird die milit?ische Durchsetzung von Interessen illegitim? Auch da fehlt heute die Diskussion.

Wie steht es mit der OSZE? Warum mussten ihre Beobachter aus dem Kosovo heraus? Und welche Rolle kann die OSZE im zuk?ftigen V?kerrecht spielen?

Die Beobachter mussten wegen der akuten Bedrohungssituation unmittelbar vor Kriegsausbruch gehen. Sie waren ungen?end bewaffnet und es bestand die Gefahr von Geiselnahmen. In diesem Zusammenhang darf man die OSZE nicht ?ersch?zen. Sie ist aus einer ad-hoc-Situation heraus entstanden: wie bringt man den Kalten Krieg zu Ende? Es brauchte damals ein block?ergreifendes Diskussionsforum, das die KSZE (Konferenz f? Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) war. Bis 1989 war sie, vereinfacht gesagt, ein in eine besondere Form gekleideter diplomatischer Verhandlungsprozess. Sie wurde nach dem Kalten Krieg in eine internationale Organisation umgewandelt, die wenige Kompetenzen und fast keine Mittel hat. Bedeutung hat sie im Bereich des Minderheitenschutzes (beispielsweise in den baltischen Staaten) erlangt, wo wiederum Mittel der Diplomatie gewisse Verbesserungen bewirkten. Ein ehemaliges Diplomatenforum kann nicht so einfach in eine schlagkr?tige Organisation umgewandelt werden. Die OSZE ist ein sinnvolles Dienstleistungsunternehmen der Staaten, mehr aber nicht.

K?zlich gab es eine Tagung zu M?lichkeiten zielspezifischer Sanktionen, d.h. Sanktionen spezifisch auf verantwortlich gemachte Figuren. Fliessen solche ?erlegungen ins V?kerrecht ein?

Ob sie bisher eingeflossen sind, wage ich zu bezweifeln. Aber es gibt das Einfallstor von Kapitel VII der Uno-Charta; dort ist vorgesehen, dass der Sicherheitsrat auch zu nichtmilit?ischen Zwangsmitteln greifen kann. Unter diesem Aspekt w?e ein gezielterer Einsatz von Sanktionen ohne weiteres m?lich. Die Frage der Gezieltheit stellt sich auch bei der milit?ischen Gewalt. Hat man beispielsweise wie in Kosovo/Serbien das milit?ische Ziel, den Gegner mittels eines Luftkrieges zu besiegen, ist die Zerst?ung von Infrastruktur ein Mittel. Will man prim? humanit?e Zwecke f?dern, m?sten wohl andere Massnahmen ergriffen werden. Ans?ze dazu gab es bei den Uno-Aktionen in Somalia und Bosnien, z.B. mit der milit?ischen Absicherung humanit?er Transporte oder der Schaffung von sicheren Zonen f? Fl?htlinge, die in Bosnien allerdings wegen zu geringem Truppeneinsatz scheiterten. Bei einem solchen Ansatz w?de das Szenario in Serbien/Kosovo wohl anders aussehen: Statt Br?ken zu sprengen, w?de man humanit?e Korridore schaffen oder grenznahe Sicherheitszonen f? Fl?htlinge im Inneren des Kosovo schaffen und verteidigen. Konzepte, wie milit?ische Eins?ze zu humanit?en Zwecken sinnvoll ausgestaltet werden k?nen, fehlen aber noch weitgehend.

Wie sehen Sie die Rolle der Schweiz als Nichtmitglied der Uno? Was ist die Rolle der Zivilgesellschaft?

Bez?lich der Uno hat die Schweiz direkt eine bescheidene Rolle zu spielen, es steht uns als Nichtmitgliedstaat nicht an, hier Initiativen zu ergreifen. Von der Zivilgesellschaft her gesehen, ist die Uno immer noch die bestm?liche L?ung; daher muss auf einen Uno-Beitritt hingewirkt werden. Die beste Haltung der Schweiz, denke ich, ist momentan die milit?ische Neutralit?. Nicht, weil sie ein Mythos ist, sondern, wie der Bundesrat seit 1848 bis heute immer wieder betont hat, weil sie ein taugliches Instrument der Aussenpolitik sein kann. Diese Tauglichkeit ist f? mich heute gegeben: Es ist durchaus denkbar, dass in einer sp?eren Phase der Krise z.B. im Zusammenhang mit humanit?er Hilfe oder diplomatischen Bem?ungen die Schweiz gerade wegen ihrer milit?ischen Neutralit? eine gewisse Rolle spielen kann, die wichtiger ist als ?erflugrechte f? die Nato. Deshalb bef?worte ich die ?erflugverbote; auch richtig sind die klaren Worte des Bundes

 

Zur Geschichte des Gewaltverbots

fw Vor Beginn des 20. Jahrhunderts existierte das Prinzip des Gewaltverbotes nicht. Gewalt, auch Angriffskriege, waren im Staatenverkehr gestattet. Das Recht, Kriege zu f?ren, war ein wichtiges v?kerrechtliches Element f? souver?e Staaten. Die Frage, ob ?erhaupt Gewalt gerechtfertigt sei, war von untergeordneter Bedeutung. Viel wichtiger war die Frage nach dem gerechten Krieg (bellum iustum). Gibt es eine iusta causa, die einen Krieg rechtfertigt? Mittels des Konstruktes des gerechten Krieges versuchte diese mittelalterliche, moraltheologisch und naturrechtlich gepr?te Lehre (Augustinus, Thomas von Aquin u.a.), den Krieg in gewissen Schranken zu halten. Das allm?liche Aufkommen souver?er Staaten in der Neuzeit verdr?gte diese Lehre. ?er den gerechten Krieg ging man allm?lich zum "freien Recht zum Krieg" ?er (ius ad bellum). Damit wurde souver?en Staaten das unabdingbare Entscheidungsrecht zur Erstanwendung von Waffengewalt, zum Angriffskrieg zugesprochen. Erste Versuche, dieses Recht einzuschr?ken, wurden an den Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) unternommen. Dort wurde zum Beispiel festgehalten, dass Feindseligkeiten zwischen Staaten ohne eine Kriegserkl?ung nicht beginnen d?fen, oder es wurden "die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen" namentlich untersagt, ein Pl?derungsverbot wurde erlassen usw. Auch wurden in bilateralen Vertr?en Kriegsf?rungsregeln eingef?rt, die Parteien verpflichteten, Streitigkeiten einer Untersuchungskommission vorzulegen und f? eine bestimmte Zeit kriegerische Handlungen zu unterlassen (zum Beispiel sog. Bryan-Vertr?e). Der Erste Weltkrieg f?rte zur V?kerbund-Satzung (1919), die auch Massnahmen zur Kriegseind?mung vorsah. Der V?kerbund sollte eine umfassende Friedensordnung errichten und eine Einschr?kung der staatlichen Souver?it? zugunsten der Staatenorganisation erreichen. Das Recht auf Krieg existierte aber weiterhin, ein generelles Kriegs- und Gewaltverbot wurde erst nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges erlassen. Es wurden nur sog. Aufschubbestimmungen erlassen, die, ?nlich den erw?nten bilateralen Vertr?en, Mitgliedstaaten verpflichteten, ihre Streitigkeiten einem gerichtlichen Verfahren, einer Schiedsgerichtsbarkeit oder dem V?kerbundsrat zu unterbreiten. Akzeptierte ein Staat ein Urteil solcher Instanzen, durfte gegen diesen Staat kein Krieg gef?rt werden. Der Kongress der USA ratifizierte den Vertrag allerdings nie, Japan und Deutschland traten 1933, Italien 1937 aus. Den M?geln der VB-Satzung versuchte das Genfer Protokoll zur friedlichen Beilegung internationaler Streitf?le von 1924 zu begegnen; es auferlegte den Vertragsparteien die Pflicht "in keinem Fall zum Kriege zu schreiten", unter Ausnahme der Selbstverteidgung und der Ergreifung kollektiver Zwangsmassnahmen. Das Protokoll wurde jedoch nie geltendes Recht. Auch der Locarno-Pakt (1924), der Angriff, Einfall und Krieg verbot, verlor 1936 seine rechtliche Wirksamkeit. Ein allgemeines Kriegsverbot wurde schliesslich zum ersten Mal in Paris mit dem Kellogg-Briand-Pakt von 1928 formuliert. Krieg wurde nur im Rahmen der Selbstverteidigung zugelassen, denn die Parteien wollten auf den Krieg "als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten". Alle Streitigkeiten sollten sie "niemals anders als durch friedliche Mittel" l?en. Nach vorherrschender Meinung f?rte dieser Pakt schon 1945 zu einem gewohnheitsrechtlichen Verbot von Angriffskriegen. Allerdings sah der Pakt keine Sanktionen vor und das Verbot erstreckte sich nicht auf Gewalt in einem weiteren Sinn, was einige Staaten auszunutzen wussten. Universal statuierte ein allgemeines Kriegsverbot erst die Charta der Vereinten Nationen 1945 (Art. 2, Absatz 4). Ausnahmen sieht das Konfliktverh?ungs- und Friedenssicherungssystem nur in drei F?len vor: Recht auf Selbstverteidigung eines Staates im Rahmen eines bewaffneten Angriffs (Art. 51); kollektive Zwangsmassnahmen (Art. 42 und 53); Aus?ung von Sonderrechten gegen ehemalige Feindstaaten (heute ohne faktische Bedeutung). Zur (heiklen) Auslegung des Gewaltverbotes werden h?fig zwei GV-Resolutionen herangezogen, die hier der Vollst?digkeit halber erw?nt seien: die sogenannte Friendly Relations-Deklaration (1970) und die Resolution ?er die Definition der Aggression (1974). Das Gewaltverbot wird heute als V?kergewohnheitsrecht angesehen, das u.a. auch Nichtmitgliedstaaten der Uno bindet (nur wenige...), das Verbot des Angriffskrieges geh?t zudem zum zwingenden V?kerrecht.

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