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Redaktionsgespr?h 8.99  mit Maya Doetzkies, Ursula Bauer und J?g Frischknecht

Dieser staunende Kinderblick

Vom Reisen mit Sinn, Kopf und Herz

F? das Redaktionsgespr?h "Reisen als Emanzipation" wurde die langj?rige Journalistin Maya Doetzkies eingeladen, die beruflich h?fig mit Entwicklungsprojekten zu tun hat. Neben dieser globalen Perspektive sollte auch das Unterwegssein im Nahbereich thematisiert werden. Ursula Bauer und J?g Frischknecht haben ?er das Wandern im Alpenbogen drei Wanderleseb?her ver?fentlicht und sind daher darin besonders "bewandert". Zwischen diesen beiden Arten von Reise-Lust haben Maja Wicki und weitere Redaktionsmitglieder Gemeinsamkeiten und Unterschiede erfragt.

In der Literatur der Aufkl?ung im 18. Jahrhundert trat das Reisen erstmals als M?lichkeit zur Aufhellung des Geistes in den Vordergrund; Orte der Antike wurden bereist und genau geschildert. Reisen war noch Teil eines Lern- oder Erwerbskonzeptes Einzelner, damals schon h?fig mit Musse verbunden. Wo siedelt ihr euer Reisen zwischen Lernen und Genuss an?

Maya Doetzkies: Es ist eigentlich beides. Wobei das Lernen ein Genuss ist, wenn so gelernt werden kann, dass alle Sinne einbezogen sind, ?er Bilder, Farben, Ger?sche, Ger?he oder ?erraschungen.

F? mich ist das Lernen zwar oft zweckgebunden, oft aber auch zweckfrei, zur Befriedigung meiner Neugier.

Ursula Bauer: Das Wort Lernen ist mir beim Reisen bestimmt nie durch den Kopf gegangen. Es geht mir eher um eine Befriedigung der Neugier, die dann oft auch nach sich zieht, dass ich tats?hlich etwas lerne. Aber ich reise nicht mit didaktischen Anspr?hen. F? mich ist es ein Vergn?en.

Emanzipatorisch im Sinne eines selbstbestimmten Erfahrens der Welt, einer Autonomisierung war f? mich das Wandern durch ein ganz pers?liches Problem. Ich habe sehr lange darunter gelitten, dass ich nicht schwindelfrei bin und nicht klettern kann. Das hat mir fr?er die H?fte des Vergn?ens genommen, weil ich immer auf die Gipfel geschaut habe und gedacht habe: Ach, k?nte ich doch auch dort hinauf! Das ist allm?lich verschwunden, und nach Jahren des Wanderns habe ich festgestellt, dass ich damit etwas tue, das mir mindestens soviel Befriedigung und Freude verschafft wie Berge zu erklimmen. In diesem Sinn war das Wandern f? mich sicher ein emanzipatorischer Schritt.

J?g Frischknecht: Ursula und ich sind seit ?er zwei Jahrzehnten zu Fuss unterwegs. Dass wir dar?er B?her schreiben, ist relativ neu. Mit den Motiven und Zielen unseres Wanderns haben wir uns eigentlich immer erst befasst, wenn eine Radiofrau oder, wie jetzt, eine ganze Redaktion danach fragt; dann mussten wir die Theorie zur Praxis nachliefern. Grunds?zlich machte es uns einfach Spass, uns zu bewegen, und es nahm uns wunder, was wir sehen. Ab und zu haben wir, noch lange vor unseren B?hern, uns kundig gemacht und in der Literatur nach bestimmten Themen gest?ert.

Von Anfang an war die Lust dabei, abends gut abzusteigen. Fr?er mussten wir uns dabei noch fast verteidigen. Es war f? einen Linken schon suspekt genug, in die Berge zu gehen – ein SAC galt ja nicht gerade als revolution?e Avantgarde. Abends dann auch noch ausgesprochen gut essen zu wollen, ging oft ?er die Hutschnur von manchen Bekannten. Heute sind viele Leute froh, dass man das jetzt darf.

Mit dem B?herschreiben kam eine Selbstdisziplinierung dazu. Fr?er war das Lernen zuf?lig, uns fiel etwas auf, wir schnappten gewisse Dinge auf, aber wir machten uns bloss fallweise und nicht systematisch kundig. Das hat sich ge?dert. Wir setzen uns mit Gegenden und Themen intensiver auseinander.

Was gab euch denn den Anreiz zum Reisen? War es beispielsweise f? dich als Journalistin, Maya, nicht eine Pflicht, die du dann zu deinen Gunsten ausweiten konntest?

Doetzkies: Ich bin eigentlich erst sp? weit gereist. Das erste Mal nach Schwarzafrika kam ich durch eine Beziehung. Ich wollte wissen, wie die Familie meines Freundes lebt, wie die Gesellschaft dort funktioniert. Emanzipatorisch bei all meinen Reisen war sicher der Anspruch, mit eigenen Augen die Realit?en sehen zu wollen, um ein Gegengewicht zu haben zu dem, was die Medien berichten. Hier habe ich riesige Unterschiede wahrgenommen, zuerst als Journalistin, dann bei meiner T?igkeit in der Entwicklungspolitik. Es ist f? mich sehr wichtig, mir mein eigenes Bild machen zu k?nen, damit ich nicht alles glauben muss, was die Medien vermitteln, auf die ich ja wiederum angewiesen bin, weil ich nicht ?erall selber hin kann.

Wenn ich reise, habe ich immer einen Grund, eine Rechtfertigung. Dabei ist die M?lichkeit, selber zu beurteilen und das eigene Urteil den gelesenen Informationen gegen?er stellen zu k?nen, sehr wichtig. Es gibt beispielsweise sehr viele positive Beispiele an der Basis, von denen man in den Medien nie etwas h?t.

Welches sind Schwerpunktziele deines Reisens?

In Afrika waren das Zaire (Kongo), Kenya, Mali, Benin, Ghana, Burkina Faso, Elfenbeink?te, in Asien Vietnam, Kambodscha, Philippinen, Indien usw. Ich bin dabei oft auf dem Land, bei den B?erinnen und Bauern. Das sind auch meine beruflichen Schwerpunkte: Nahrung, Landwirtschaft, Produktion.

Mich interessiert: Wie leben die Menschen? Was machen sie wie? Auch die Situation von Frauen hat mich immer interessiert. Wie organisieren sie sich, was besch?tigt sie? Nach und nach ergibt sich aus vielen Facetten ein Bild. Mein Wertesystem hat sich durch die Reisen ver?dert: Ich sehe vor meinem inneren Auge ein Netz von B?erinnen und Bauern, die ihren eigenen Weg gehen,die eine grosse Kraft haben und ihre eigene Entwicklung in die Hand nehmen. Mein k?zlicher Besuch in Osttimor hat mir beispielsweise vor Augen gef?rt, dass es noch ganz andere Realit?en gibt als Gewalt und Terror, ?er die die Medien hier berichten. Das ist f? mich der emanzipatorische Ansatz und ich kommuniziere die Gegenrealit? als Journalistin so gut wie m?lich.

Dieses andere Wertesystem, gibt es das auch f? euch, die ihr im Bereich der Alpenkulturen bleibt? Ver?dert sich eure Sicht der Dinge durch die sorgf?tige Beobachtung dieser Kulturen, die zum Teil zu Fuss schwer zug?glich sind?

Bauer: Schwer zug?glich sind sie eigentlich nicht. Wir bewegen uns immer in Gebieten, die sehr wohl zug?glich sind. Eigentlich allen. Wir haben weder ein Programm noch den Anspruch, Studien zu betreiben. Wir gehen hin, und es ergibt sich sehr vieles an Ort und Stelle. Grabe, wo du gehst. Eine Ver?derung des Wertesystems stelle ich nicht fest. Wir machen ja keine Reise in v?lig andere Kulturen, zum Beispiel nach Afrika. Welchen Grund habe ich, dort zu sein? Dort f?lte ich mich unwohl, weil ich nur Touristin war. Nach Japan zu gehen, st?t mich hingegen ?erhaupt nicht, dort habe ich keine M?e mit dem Touristin-Sein. Die lachen mich vielleicht aus, aber es ist ein Auslachen von Gleich zu Gleich, die m?sen nicht ihren Mangel mit mir teilen. In den Alpen m?sen wir uns solche Fragen nicht stellen. Wir nehmen niemandem etwas weg, wir sind auch nicht auf einem Folklore-Trip, wir brauchen keine Rechtfertigung. Deshalb haben wir uns, wie wir k?zlich wieder festgestellt haben, auch nie eine Theorie dazu gebaut.

Frischknecht: Wir sind ja gleich unterwegs wie sp?er Leserinnen und Leser. Das erste Motiv ist sicher bei den meisten die Lust aufs Wandern, auf die Bewegung. Dazu kommt dann, was wir etwas systematisiert haben, das Hinschauen und Vermitteln von Informationen. Man sieht nur, was man weiss. Auch uns passiert es immer wieder, dass wir Dinge, von denen wir jahrelang geglaubt hatten, sie zu sehen, gerade nicht gesehen haben, weil wir davon zu wenig gewusst haben. Das ist ein spannender wechselseitiger Prozess, der durch Informationen erst in Gang gesetzt wird. Das k?nen manchmal auch falsche Informationen oder Vorstellungen sein. Wir versuchen in unseren B?hern, Dinge zu vermitteln, die anderen dazu verhelfen, die Umgebung und die Menschen anders zu sehen, ihnen die Augen zu ?fnen, oder den Anstoss zu geben, mit offenen Augen und Ohren umherzugehen.

Ihr seid ja diese Wege oft mehrmals gegangen. Hat sich dadurch etwas ver?dert?

Bauer: Beim zweiten Mal haben wir sicher die richtige Abzweigung erwischt und sind nicht in irgendwelchen B?chen oder Felsen gelandet. Insofern ist es das zweite Mal nat?lich leichter.

Damit wollt ihr den Lesern und Leserinnen also Verirrungen ersparen?

Bauer: Nicht ganz. Wir sagen den Lesern und Leserinnnen auch mal, jetzt f?ren wir euch in die Irre. Ihr k?nt gerne mitkommen oder es sein lassen. Wir locken mit Routenvarianten, die auf Nebengeleise f?ren. Das vermittelt Eindr?ke, wie sich die Gegend ver?dert hat, zum Beispiel in ehemaligen Landwirtschaftsgebieten. Man erlebt die Ver?derungen, wenn man vom "richtigen" Weg abkommt.

Irregehen ist auch ein Stichwort. Musstest du, Maya, nicht auch oft in die Irre gehen auf deinen Reisen, weil sich urspr?gliche Pl?e nicht verwirklichen liessen?

Doetzkies: Das gibt es auch. Mir f?lt aber jetzt gerade auf, wie wenig ich mich auf meinen Reisen eigentlich bewege, obwohl ich sehr weit weg fahre. Ich sitze oft, im Flugzeug, in der Bahn, bei den Bauernfamilien. Detaillierte Reisepl?e habe ich eher selten, ich mache Treffen ab, aber das Restliche ergibt sich spontan. Spontan ist allerdings relativ zu verstehen, denn auf dem Land reist es sich nicht so leicht; wenn es eine ?erschwemmung gibt, kann man unter Umst?den tagelang warten. Das f?rt nicht eigentlich in die Irre, sondern f?rt zu ganz neuen Sichtweisen. Die Langsamkeit, diese Bewegungslosigkeit ist auch etwas Faszinierendes.

Die Zeit ist ein wichtiger Aspekt des Reisens. Reisen ist nach g?gigen Vorstellungen auch ein Konsumgut. Damit h?gen die Schnelligkeit der Fortbewegungsmittel und geraffte Reiseprogramme zusammen. Zeit scheint dabei eigentlich immer mehr zu verschwinden. Wie kommt man zur Langsamkeit beim Reisen?

Doetzkies: Der Weg zum Reiseziel ist mit Flugzeugen schnell hinter sich gebracht. Auf dem Land wird es dann langsam; die Menschen haben einen anderen Rhythmus. Und da man f? mich die Gespr?he meistens ?ersetzen muss, weil ich die einheimische Sprache nicht kenne, braucht es auch f? eine einfaches Gespr?h viel Zeit. Ich muss lernen, wie ich eine Frage zu stellen habe, damit meine Gegen?er ?erhaupt antworten k?nen. Auch das braucht Zeit. Diesen Aspekt sch?ze ich sehr, denn man lernt viel dabei. Man ist jedenfalls in eine andere Zeit versetzt und das ist ein sehr angenehmer Zustand, an den man sich sehr schnell gew?nt. Das Tempo, das wir hier haben, f?lt mir jeweils erst bei meiner R?kkehr in die Schweiz auf.

Oft reise ich allein. Beim Alleinreisen hat man auch mehr Zeit zu beobachten, Allt?lichkeiten und Fremdheiten wahrzunehmen. Es ist dieser staunende Kinderblick, den man sich leisten kann, wenn man Zeit hat.

Das erm?licht eventuell eine bessere Form der Speicherung, weil Eindr?ke nicht sofort wieder ausgetauscht oder durch neue ?erdeckt werden.

Doetzkies: Genau. In Afrika erz?lt man sich beispielsweise eine Geschichte zehnmal hintereinander. Die Schlange wird buchst?lich jedesmal l?ger. Ich habe zuerst nicht begriffen und dachte, ja, ja, ich habs schon beim erstenmal verstanden. Dabei ist das eine Form der Verarbeitung, die ich mittlerweile genial finde. Man hat auch Zeit daf?, weil: es passiert ja sonst nichts.

Bedeutet f? euch der Schritt, den das Gel?de aufzwingt, auch ein anderes Zeitmass als das allt?liche in der Stadt?

Bauer: Von der Bewegung her sicher. An manchen Tagen bewegt man sich leicht und locker, an anderen Tagen zieht es einen in den Boden hinein. Wenn wir f? unsere B?her recherchieren, dann k?nen wir der Zeit nicht ganz entfliehen, wir m?sen Notizen machen. In ein ganz anderes Zeitgef?l k?nen wir dann nicht schl?fen. Wenn wir einfach so unterwegs sind, dann wird die Helligkeit zum wichtigen Faktor. Wenn die Sonne untergeht, dann m?sen wir uns entscheiden, ob wir weitergehen oder bleiben wollen.

Brecht ihr sehr fr? auf, geht ihr noch im Dunkeln los?

Frischknecht: Wir empfehlen immer wieder, fr? aufzubrechen. Wir selber halten uns selten daran. Mir f?lt ein Nachteil des B?herschreibens ein. Gegen Ende der Wander- und Recherchiersaison stauen sich einige "Restposten". Pl?zlich kommt f? einen Monat atypische Hektik auf, wir m?sen genau planen. Wenn wir in einer Ecke noch einen besseren Abgang suchen und in einer anderen den Auftakt im Dorf, dann sind wir sehr froh um unsere Freundin Erika mit ihrem Auto. Dieser Stress holt uns zum Gl?k h?hstens alle zwei Jahre ein. Sonst gilt: Das Zu-Fuss-Gehen ist sehr menschengerecht, und wir kosten das auch aus. Oft wissen wir nicht, wo wir ankommen. Wir geniessen die Freiheit derer, die nicht zum Parkplatz zur?k m?sen. Fast immer sind wir mindestens drei Tage unterwegs, mit zwei ?ernachtungen, das ergibt eine ganz andere Dramaturgie.

F? mich ist es weniger eine andere Zeit die ich wahrnehme, sondern andere Dinge. In Z?ich gibt es f? mich zum Beispiel nur zwei Arten Wetter: dasjenige mit Regenschirm und dasjenige ohne Regenschirm. Beim Wandern nehme ich zehn bis zw?f verschiedene Wetterarten wahr. Die Wahrnehmung wird enorm intensiviert. Mit grossem Interesse lesen wir auch, was Vor-G?gerinnen und Vor-G?ger wahrgenommen haben, vor allem im letzten Jahrhundert. Der Z?cher Rechtsprofessor Eduard Osenbr?gen, ein deutscher Liberaler, hat dabei den sch?en Spruch gepr?t "Wandern ist verst?ktes Leben". Das hat was.

Beim Lesen neuerer Wanderb?her ist uns auch aufgefallen, dass die Ich- bzw. die Wir-Form, die Ursula und ich benutzen, verschwunden ist. Und auch das Wetter. Im durchschnittlichen Wanderbuch ist immer sch?es oder neutrales Wetter. Aber Blitze und Gewitter usw., subjektive Erfahrungen, sind uns wichtig, und sicher auch den anderen Wanderern.

"Verst?ktes Leben" bedeutet ja auch verst?kte Gef?rdung, nicht st?dig gesch?zt sein. Auch gibt es negative Erfahrungen. Wie verarbeitet ihr solche Erfahrungen, behaltet ihr sie f? euch?

Doetzkies: Ich behalte sie nicht f? mich. Mir ist es wichtig, den Menschen hier die verschiedenen Seiten der Realit? zu vermitteln. Dazu geh?en auch negative Dinge. Das Leben, der Alltag ist nun mal so. Pers?liche Entt?schungen habe ich allerdings so nicht kennen gelernt oder vielleicht gar nicht als solche wahrgenommen. Es gibt aber sicher Ern?hterungen. Als ich in S?indien unterwegs war, um mir die umweltbelastenden und sehr problematischen Aquakulturen f? Cre-

vettenzucht anzuschauen, lernte ich einen Crevettenz?hter kennen, der entsprach ganz und gar nicht diesem Bild eines Ausbeuters von Umwelt und Leuten. Er war eher arm, hatte sein ganzes Erspartes in diese Anlage gesteckt, verhielt sich also innovativ. Die NGO-Vertreterin dagegen, mit der wir hier zusammen die Aufkl?ungskampagne gegen die Aquakulturen gemacht hatten, geh?te zu den Wohlhabenden, lebte in einem sch?en Haus, hatte ein Auto usw. Auch sie entsprach nicht gerade dem, was ich mir unter einer Anw?tin f? die Armen vorgestellt hatte. Das sind ideologische Entt?schungen. Aber auch die sollte man nicht verschweigen.

Frischknecht: Entt?schungen? Dazu geh?t sicher der Asphalt. Pl?zlich ist Asphalt, wo letztes Mal noch keiner war. Oder Unerfreuliches bei der Unterkunft. Da ?en wir allerdings Selbstzensur. Wir verschweigen Entt?schungen an Orten, wo es nur eine ?ernachtungsm?lichkeit gibt. Wir wollen ja nicht dazu beitragen, dass diese schliesst; eine bessere Frequenz k?nte vielleicht zu einer Verbesserung beitragen. Hat es mehrere M?lichkeiten, teilen wir Entt?schungen mit.

Wie steht es mit menschlichen Entt?schungen?

Bauer: Ich kann mich an keine entsinnen. Im Gegenteil bin ich immer wieder erstaunt, wie zuvorkommend und nett die Leute sind, auch in Gebieten, wo wir die Sprache nicht sehr gut beherrschen. Leute, die den Sommer in den Bergen verbringen, nehmen sich oft auch Zeit, nehmen die Wanderer und ihre Anliegen wichtig. Ich frage lieber jemanden in den Bergen nach dem Weg als jemanden am Paradeplatz.

Ihr seid ja auch erkennbar als Touristen, als Fremde. Seid ihr nie ausgenutzt oder ?ers Ohr gehauen worden?

Frischknecht: Wir haben im Veltlin oft erwartet, eins aufs Dach zu kriegen f? die negativen Erfahrungen der Leute als Fremdarbeiter und Fremdarbeiterinnen in der Schweiz; immerhin hat ein Grossteil der ?teren Leute einmal in der Schweiz gearbeitet. Wir h?ten das stellvertretend eingesteckt. Fast immer ist das exakte Gegenteil passiert: Oft haben sie die Schweizer Zeit verkl?t, da waren sie noch jung und unverheiratet. Aber wir waren trotzdem oft verbl?ft ?er die Versch?ung dieser Zeit.

Doetzkies: F? mich ist es sehr unterschiedlich von Land zu Land, von Stadt zu Land, wie ich als Fremde aufgenommen werde. In den 80er-Jahren wurde ich beispielsweise in Vietnam noch von Dutzenden von Kindern umringt und mit offenen M?dern angestarrt. Ich wusste nicht, wie mich verhalten. Heute ist das in Vietnam ganz anders: Niemand sieht mehr gross hin. Das Angestarrt-Werden kann ja auch lehrreich sein. Man erf?rt, wie es anderen bei uns ergeht. Allerdings: Die Neugier, die mir dort entgegengebracht wird, ist eigentlich nie aggressiv, sondern einfach offen. So offen, wie wir selber gar nicht mehr sein k?nen.

Ein Problem f? mich ist, dass ich vielen Menschen wohl a priori ein komisches Bild vermittle. F? sie bin ich unendlich reich. Sie wissen nicht, wie gelebt wird, wo ich lebe. Sie denken, es sei f? uns normal, einfach so in der Welt herumzureisen. Das stimmt ja nun so nicht.

In Afrika hat mich erstaunt, dass ich, ?nlich wie es euch im Veltlin ergangen ist, fast nie Ressentiments gegen die Weissen gesp?t habe, nicht einmal gegen die Kolonialisten. Das hat mich zuerst schockiert! In Zaire wurde sogar gesagt, unter den Belgiern sei es besser gewesen.

Ist es vorstellbar, dass es f? euch eine S?tigung gibt, dass ihr nicht mehr unterwegs sein wollt?

Bauer: Wir fragen uns das oft, aber es scheint nicht so zu sein.

Frischknecht: Es ist auch eine Art Sucht, sich bewegen zu wollen. Ob wir dann immer noch schreiben wollen, ist eine andere Frage.

Welches sind eure n?hsten Ziele? Weitet ihr den Raum aus?

Bauer: Auch da haben wir uns nicht festgelegt, wir geniessen eine Art Zwischenzeit. Da wir dieses Jahr an keinem konkreten Buchprojekt arbeiten, haben wir Zeit und k?nen ausschw?men, wohin es uns zieht.

Frischknecht: Nat?lich gibt es Ideen. Zum Beispiel den reizvollen Titel "Auswanderungen – Die zehn sch?sten Wege, die Schweiz zu verlassen". Aber ein Titel ist noch kein Buch.

Gibt es f? dich die Vorstellung, Maya, nirgendwohin mehr fahren zu wollen?

Doetzkies: Wahrscheinlich werde ich eines Tages aus gesundheitlichen Gr?den diese weiten Reisen nicht mehr machen k?nen, denn es ist schon sehr anstrengend, und die hygienischen Verh?tnisse sind oft sehr schlecht. Ich denke mir, dann werde ich mir die Schweiz und die Alpen einmal n?er anschauen.

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