Moma 6.2000 InhaltsverzeichnisAntisemitismus |
|
Kurt Seifert | Editorial |
Vivianne Berg |
Tagebuch Menschengedenken |
Redaktionsgespräch mit Jacques Picard, Josef Lang und Shraga Elam |
"Mitfahrgelegenheit"
Antisemitismus Über die hohe Funktionalität eines flexiblen Begriffs |
Sigi Feigel im Gespräch mit Susanne Kramer-Friedrich |
Briefe von Schweizer Antisemiten Sigi Feigel erhält auch positive Post |
Maja Wicki |
Helvetische Assimilationszwänge Zur jüdischen Minderwertsgeschichte |
Redaktionsgespräch II mit Jacques Picard, Josef Lang und Shraga Elam |
Welche Fakten, welche Geschichte? |
Jacques Picard |
Diffuse Attraktivität Funktionen eines flexiblen Begriffs |
Shraga Elam |
Judeophilie ist versteckte Judeophobie Tabubeachtung befreit nicht von Vorurteilen |
Thomas Huonker |
Zum Schweizer Antiziganismus Stereotypisierung(en) und Diskriminierung(en) |
hristoph Lüscher | Rigoristisches Gedankengut |
Anjuska Weil |
Kosmopolitisches Denken Bemerkungen zur jüdischen Linken heute |
Cécile Bühlmann |
Gegen Zumutungen der Moderne Rassismus, Antisemitismus und Politik |
Stockholmer Erklärung über den Holocaust | |
Walter Wolf |
Distanz und Nähe zum Faschismus Zur Geschichte von BGB / SVP |
Boris Jezek | FPÖ: Rechtsextrem oder faschistisch? |
Emilio Modena |
Schwer behandelbare Symptome Zum Faschismus-Syndrom |
Kurt Seifert |
Weisswäscher am Werk Geschichtsrevisionismus nicht nur von rechts |
Editorial |
Von blinden Flecken und Tabus
Die schweizerische "Sonderfall"-Mentalität hat in letzter Zeit ein paar gehörige Dämpfer erlitten: Bankgeheimnis, roter Pass und wehrhafte Neutralität sind längst nicht mehr das, was sie einmal darstellten – Ausdruck eines prosperierenden, selbstzufriedenen Landes. Das Ende der Blockkonfrontation, die wirtschaftliche Krise sowie die Kritik an der Haltung der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs trugen zu einer fundamentalen Verunsicherung in weiten Teilen des Volkes bei. Zum Ende des "Sonderfalls" gehört die Einsicht, dass unser Land in Sachen Antisemitismus auch nicht besser dasteht als andere Gesellschaften. Die teilweise schmerzhafte Auseinandersetzung mit der jüngeren Schweizergeschichte zeigt, dass der seit dem Ersten Weltkrieg andauernde Kampf gegen die "Überfremdung" antisemitisch, oder genauer: judeophob, judenfeindlich motiviert war. Die Grenzschliessung im August 1942, auf dem Höhepunkt des Holocaust, stellte keinen zufälligen Akt von Berner Bürokraten dar, sondern wurde von langer Hand vorgedacht und vorbereitet. Die schweizerische Geschichtsschreibung blieb bis in die jüngste Zeit hinein blind gegenüber dem helvetischen Antisemitismus – vor allem, weil er sich in den 30er und 40er Jahren diskreter gab als der "Radau"-Antisemitismus jenseits des Rheins. Es blieb Aussenseitern des Wissenschaftsbetriebs wie einem Niklaus Meienberg vorbehalten, die hiesigen Tabuzonen einmal etwas genauer anzuschauen. Inzwischen ist eine neue, sensibilisierte HistorikerInnengeneration angetreten, die die Schweizer Mythen nicht mehr um jeden Preis verteidigen muss. Ihre Forschungsergebnisse lösen heftige Reaktionen bei all jenen aus, die glauben, auf diese Mythen nicht verzichten zu können – und die sind übrigens nicht nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu finden. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, führende Köpfe der "Frankfurter Schule", hatten bereits in der Ära des deutschen Faschismus davor gewarnt, das "Rätsel der antisemitischen Irrationalität" mit irrationalen Formeln zu erklären. Das Rätsel verlange stets nach einer "gesellschaftlichen Auflösung", zu der die Diskussion ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Ursachen gehöre. Dazu hoffen wir mit diesem Heft einen Beitrag leisten zu können. Die Antwort auf Antisemitismus kann jedenfalls nicht "Philosemitismus" sein, weil der sich auch wieder seine Tabuzonen schafft. Die Auseinandersetzung mit der schweizerischen Flüchtlingspolitik in den Jahren zwischen 1933 bis 1945 schliesst die Frage ein, wie sich jüdische Organisationen und Persönlichkeiten verhalten haben: ein heikles und umstrittenes Thema, dem wir aber nicht ausweichen wollten. Weil antisemitische Stimmungen und Codes immer wieder im Kontext nationalkonservativer Bewegungen und Parteien auftreten, ist auch die Neue Rechte in der Schweiz und Österreich ein Thema dieses Hefts. Wir wünschen Ihnen eine zu Nachdenken, Gespräch und eigenem Handeln anregende Lektüre! Kurt Seifert |
© MOMA 8031 Zürich |