Redaktionsgespräch 3.2000
Provokation zur SensibilisierungWendig und undogmatisch: Frauen an der Öffentlichkeit |
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Dass die Mutterschaftsversicherung verworfen, dass Institutionen wie dem
Frauenzentrum Zürich der Geldhahn abgedreht wurde, dass für die 11.
AHV-Revision die Frauen durch höheres Rentenalter bezahlen sollen, wirft die
Frage auf, wie verschiedene Frauen mit unterschiedlichen Interessen ihre
Anliegen thematisieren, wie sie ihren Auftritt in für sie relevanten
Öffentlichkeiten inszenieren, damit sie von der Öffentlichkeit überhaupt
wahrgenommen werden. Denn auf dieser Ebene werden die Meinungen gemacht,
Abstimmungen und Wahlen gewonnen oder verloren. MOMA hat sich zum Thema
Frauenöffentlichkeit(en) mit Andrea Büchler und
Lynn Blattmann unterhalten.
MOMA: Andrea Büchler, Lynn Blattmann, wie seid ihr geworden, was ihr heute seid, was tut ihr heute? Was war euer grösster Erfolg, was die grösste Enttäuschung? Andrea Büchler: Ich bin sehr früh über klassisch linke Themen politisiert worden. Insbesondere das Chile der 80er-Jahre, wo ich mit sechzehn war, hat mich radikalisiert. Und zwar in Bezug auf zwei Themen: die Menschenrechte und die Folgen eines neoliberalen Systems. Später war ich auch an den politischen Auseinandersetzungen um Nicaragua beteiligt. Nicaragua hat mich auf die Geschlechterfrage aufmerksam gemacht, denn in Nicaragua habe ich eine sehr starke Frauenbewegung erlebt, die mich beeindruckt hat. Ich hatte den Eindruck, die Sandinistinnen seien viel weiter, als wir es hier sind. Diese zwei Stränge – der linke und der feministische – sind also bei mir zusammengelaufen. Heute bin ich Juristin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Basel und Lehrbeauftragte, und beschäftige mich vor allem mit dem Familienrecht. Seit 1995 bin ich für die Frauenliste Basel im Grossen Rat und dort Fraktionspräsidentin. Lynn Blattmann: Politisiert worden bin ich in der Unizeit. Ich war aktiv beim Zürcher Student (ZS) tätig. Damals waren dort noch vorwiegend Leute aus der SAP und der RML dabei. Ich nahm in der Redaktion eigentlich nur als "reaktionäre Frau" Einsitz, denn ich war eine Grüne; das war damals noch verpönt. Man wollte aber für ein gewisses Gleichgewicht sorgen. In der Folge bin ich stark politisiert worden und war Parteipräsidentin der Grünen der Stadt Zürich. Heute bin ich zusammen mit Irene Meier selbstständig tätig in der Firma Meier & Blattmann. Wir arbeiten vor allem im Gleichstellungs- und Kommunikationsberatungsbereich und machen auch Studien zu verschiedenen sozialen Themen wie Arbeit oder der Qualität von Siedlungen. Zurzeit bin ich Informations- und Kommunikationsbeauftragte im Sozialdepartement Zürich, was ich als meine gegenwärtig interessanteste Aufgabe betrachte. Daneben schreibe ich an einem Krimi, um meine politischen Inhalte anders an die Frau und den Mann bringen zu können. Was geht euch durch den Kopf beim Thema "Frauen in der Öffentlichkeit-Öffentliche Frauen-Frauenöffentlichkeiten"? Blattmann: Dieser Titel beinhaltet bereits das ganze Schillern des Themas. Höre ich "Öffentliche Frauen" habe ich beispielsweise immer noch die Assoziation der "femme publique", also einer Prostituierten. Das weist auch auf die Schwierigkeit hin, die Frauen immer noch haben, "Frauen in der Öffentlichkeit" zu sein. Die Debatte hat immer etwas Zweischneidiges. Büchler: Für die feministische Arbeit musste ich feststellen, dass es die Öffentlichkeit nicht gibt, es gibt allenfalls Öffentlichkeiten und ganz verschiedene Wirkungskreise. Heute mehr denn je sind Frauen in den verschiedensten Strukturen tätig, und transportieren dort durch ihre Arbeit feministische Inhalte. Sie wirken vielleicht nicht über die klassischen Medien, aber über verschiedenste andere Kanäle. Die Frage lautet also vielmehr: Welche Mittel sind in den spezifischen Wirkungsfeldern erfolgreich? Als Wissenschaftlerin und Politikerin kann ich bei mir selbst beobachten, dass ich unterschiedliche Strategien anwende. Ich thematisiere die Genderfrage in der Wissenschaft, beispielsweise im noch sehr traditionellen juristischen Seminar, indem ich klassisch männliche Techniken instrumentalisiere und damit meinen Themen eine gewisse Öffentlichkeit verschaffe. Das kann unter Umständen genauso subversiv sein, wie auf die Strasse zu gehen. Was sind Strategien für Feminstinnen heute? Sind Quoten und Frauenlisten valable politische Strategien? Blattmann: Der Quoteninitiative haben ja etliche Befürworterinnen abgeschworen, zum Teil aus Karrieregründen. Die Begründung lautet, in ihrem männerdominierten Umfeld könnten sie nicht dazu stehen. Ich selber halte nichts davon, mich nicht als Feministin zu bekennen. Da bin ich ziemlich stur. Bei den Strategien hingegen bin ich völlig flexibel. Eine valable politische Strategie finde ich jedoch Klarheit in der Sache. Deshalb weisen wir auch in unserer Firma klar darauf hin, dass wir feministisch sind und feministische Beratungen erteilen. Büchler: Klare feministische Inhalte sind zentral. Die junge Geschichte der FraB zeigt dabei exemplarisch auf, wie verschiedene Strategien funktionieren können. Die FraB hatte 1991 sehr grossen Erfolg, zog direkt mit Fraktionsstärke ins Parlament ein. Zuerst machte sie vorwiegend Protestpolitik, musste zuerst mal aufrütteln und hat provokativ politisiert. Das war ganz wichtig. Wir lösten Irritation oder gar Empörung aus. 1995 konnten wir den Erfolg wiederholen und ausbauen. Zum Teil haben wir aber unsere Strategien geändert. Wir haben gezeigt, dass sich feministische Politik nicht auf Quoten reduzieren lässt, sondern dass es "gender mainstreaming" braucht, das heisst, dass die Geschlechterperspektive in allen Themen Eingang finden muss, sowohl in der Stadtplanung wie in der Budgetdebatte oder in der Migrations- und Integrationspolitik. Aus Irritation ist Vorsicht geworden. Das Beispiel Basel zeigt, dass Frauenlisten wichtig sind. In der Wissenschaft hingegen sind reine Frauengruppen nicht so gefragt, denn es besteht die grosse Gefahr der Marginalisierung. In der Arbeit mit und für Mädchen hingegen sind geschlechtsspezifische Angebote ganz wichtig. Der Begriff "situativer Feminismus" beschreibt vielleicht am Besten die heutige feministische Arbeit. Der Stil hat sich also verändert vom lauten schockierenden Auftritt zu einer differenzierten, eher moderaten Mitarbeit auf den verschiedenen Ebenen? Büchler: Inhalt und Mittel sind hier zu unterscheiden. Ziele und Inhalte haben sich nicht so stark verändert – wir wollen nach wie vor die Umverteilung von Macht, Geld, Zeit, Arbeit, Raum zwischen den Geschlechtern –, bei den Mitteln arbeiten wir mit dem, was uns zur Verfügung steht: zielstrebig, hartnäckig und wenn immer möglich lustvoll. Könnt ihr damit eure Themen in die Medien bringen? Büchler: Die Medien haben Definitionsmacht: Sie definieren, welchen Stellenwert einem bestimmten Thema zukommt. Darin liegt auch ein Problem für die Gender-Debatte: Feministische Themen und Positionen werden marginalisiert. Die Gender-Debatte ist also auch auf andere 'Transportmittel', andere Foren angewiesen. Sie findet an verschiedenen Orten statt und hat sich wahrscheinlich von den klassischen Medien ein Stück weit emanzipiert. In einem klassischen Sinne medienwirksam war die Kampagne der FraB zur Einführung einer Gewaltsteuer für Männer. Der Vostoss wurde gar in der Financial Times aufgegriffen. Zwar hatten wir damit nicht direkten Erfolg – die Abgabe wurde nicht eingeführt –, doch wir haben das Thema 'Gewalt' so auf die politische Tagesordnung gesetzt und viel Sensibilisierungsarbeit geleistet. Weitere Vorstösse zum Thema Männergewalt wurden danach von verschiedenster Seite eingereicht und hatten Erfolg. Mit medialer Provokation ist also durchaus eine Sensibilisierung möglich. Lynn Blattmann, wie gehst du an Politik heran? Blattmann: Mein Thema war es immer, Politik in einem gemischten Umfeld zu betreiben. Das habe ich dann umgepolt, indem ich mich nicht nur für Frauen und Politik, sondern wissenschaftlich für Männer und Politik interessierte. Gendering muss man auf beiden Seiten untersuchen, deshalb ist mir die Frage nach der Politik der Männlichkeit wesentlich. Das drängte sich mir auch auf in einer damals neuen Partei wie den Grünen, die die altgrossväterlichen Strukturen ganz schnell übernommen hat. Dieses Nachdenken über die männliche Politik hat mir nicht nur als schönen "Nebeneffekt" den Doktortitel gebracht, sondern die Sinne geschärft: Beim Thema Frauen und Politik komme ich immer mit den Männern. Denn sonst sind die Frauen immer das Fremde und die Politik das Normale. Wenn man die "Natürlichkeit" der männlichen Strukturen nicht durchschaut, bleibt man in der Starrheit des Feminismus der 70er-Jahre gefangen. Auch die Männlichkeit ist historisch, sie ist hochpolitisch und es gibt sie immer noch, jetzt mit globaler Macht. Sie haben zwar einige Alibifrauen, aber es ist völlig unbewusst, wie viel an Männerbündischem noch da ist und weiterhin ausschliesst. Auch die Frauenbewegung hat diesen Diskurs nicht zum Leben erwecken können. Es gibt jetzt die "Corporation", eine reine StudentInnenverbindung, die mit diesen Anzügen und Mützen herumläuft und Bierhumpen stemmt. Diese Frauen sind der Ansicht, das sei ihrer Karriere förderlich. Blattmann: Das ist nachvollziehbar, aber leider falsch. Es gibt seit 1968 Studentenverbindungen, die auch Frauen zulassen. Das sind bezeichnenderweise die konservativ-katholischen Verbindungen. Die Frauen dürfen Arbeit übernehmen, aber die Seilschaften funktionieren nicht. Das hängt damit zusammen, dass es ein urmännlich konnotiertes Verhaltensritual ist, das für alle absolut lächerlich wirkt. Eine Frau kann nicht im Ernst alle männlichen Werte übernehmen. Bezeichnenderweise ist diese Kooperative an der Wirtschaftshochschule in St. Gallen entstanden. Dass diese Nachricht fast fünf Minuten am Fernsehen lief, ist auch typisch. Es ist abschreckend, wenn die Frauen sein wollen wie die Männer. Alle können sich dann erschreckt vom Wunsch distanzieren, dorthin zu gehen, wo die Männer hingehen. Büchler: Das zeigt wiederum die Wichtigkeit der Quoteninitiative. Auch das Parlament kennt männlich konnotierte Rituale, die bei Frauen immer wieder ambivalene Gefühle hervorrufen; öffentliche Frauen setzen sich dem männlichen Blick aus. Die Männeröffentlichkeit definiert und normiert. Damit werden Grenzen der Möglichkeiten für Frauen in der Minderheit in solchen Gremien gut ersichtlich. Das bedeutet noch nicht, dass man mit Quoten die Rituale umkonnotieren kann. Zumindest werden aber die Voraussetzungen dazu verbessert. Die FraB hat zum Beispiel das Parlament feminisiert. Das zeigt sich exemplarisch an der gesprochenen Sprache. Auch das Thema Gewalt ist in der öffentlichen Genderdebatte ein wichtiges Thema. Büchler: Als juristische Mitarbeiterin des Projektes "Halt-Gewalt" und Autorin einer Dissertation zu diesem Thema habe ich mich in erster Linie mit Gewalt in Paarbeziehungen beschäftigt. Hier können wir an Arbeit anknüpfen, die schon viel früher geleistet worden ist, an den Gedanken, dass das Persönliche politisch ist beispielsweise. Gewalt im häuslichen Bereich gehört zu diesem immer noch verschwiegenen Privatbereich. Hier ist ein Bewusstseinsprozess im Gang. Aber hinter der Trennung "Öffentlich-Privat" steht eine ganze Tradition, zum Beispiel die liberale Staatstheorie, nach welcher der Staat in der Privatsphäre nichts zu suchen hat. In dieser Privatsphäre erfährt aber jede fünfte Frau im Laufe ihres Lebens Gewalt. Und eine der Uraufgaben des Staates ist der Schutz der körperlichen Integrität. Das Thema Gewalt erscheint mir sehr zentral, und meinen Vorstössen im Parlament kann die Mehrheit nun schon wesentlich besser folgen als noch vor fünf Jahren. Der Kanton Basel-Stadt leistet zudem im Bereich der staatlichen Intervention Pionierarbeit mit dem Projekt 'Halt-Gewalt': von der faktischen Straffreiheit zu einer öffentlichen Verurteilung häuslicher Gewalt. Dazu hat sicher die erste repräsentative Studie für die Schweiz von Gillioz, De Puy und Ducret (Domination et violence envers la femme dans le ménage, Lausanne: Payot, 1997) beigetragen. Nicht nur das Ausmass der Gewalt, sondern auch die Zusammenhänge von Kontrolle und Macht einerseits und Gewaltausübung andererseits drängen langsam ins Bewusstsein. Blattmann: Wie lange dauert es eigentlich noch, bis man nicht mehr von Gewalt in Paarbeziehungen spricht, sondern von männlicher Gewalt in Paarbeziehungen? Mich ärgert auch, dass man nicht von Jungengewalt, sondern von Jugendgewalt spricht. Statistisch sind diese Zusammenhänge längst belegt. Ich empfinde den herkömmlichen Sprachgebrauch als verschleiernd. Ist nicht auch das Frauenhotel, an dem euer Büro arbeitet, eine Initative für eine gewaltfreie Sphäre? Blattmann: Unsere grundsätzliche Überlegung beruht auf einer Analyse des Markts. Frauen wie Männer reisen geschäftlich oft allein. Während nun Männer in allen Städten ein speziell auf sie zugeschnittenes Unterhaltungsprogramm vorfinden, gibt es das für Frauen nicht. Frauen gehen auch weniger häufig aus ihrem Hotelzimmer, und wenn sie doch die Hotelbar aufsuchen, machen sie unter Umständen unschöne Erfahrungen. Diese Lücke im Angebot für Frauen möchten wir schliessen. Frauen sollen sich frei bewegen können, und es soll auch offen sein für Zürcherinnen. Es geht um einen selbstbestimmten Raum. Wie steht es mit der Gleichstellung in der Wirtschaft? Ist es noch immer ein Nachteil für eine berufliche Karriere, eine Frau zu sein? Blattmann: Vieles würde sich verbessern, wenn frau mit einer grossen Portion Naivität hinginge und sagte, warum soll ich das nicht können? Frauen gehen allzu oft an eine Stelle mit einer Diskriminierungserwartung heran. Diskriminierung gibt es tatsächlich auch oft, aber die zugehörige Erwartungshaltung ist sicher nicht hilfreich. Gut qualifizierte Stellen, um die es in der Gleichstellung letztlich geht, werden auch immer noch mit Leuten ohne Kinder besetzt. Kinder sind immer noch ein Hindernis. Geht es denn nur um die Gleichstellung bei guten Stellen? Schimmert hier nicht durch, dass es gerade privilegierten Feministinnen zuerst einmal um das eigene Fortkommen geht? Büchler: Die gängige Debatte über die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt ist eh einseitig und spricht tatsächlich nur von der Realität eines Teils der Frauen. Wir haben jetzt von Arbeit gesprochen, aber Frauen fehlt es nicht an Arbeit, sondern an Einkommen. Wie ist denn euer Standpunkt zur Thematik Arbeit überhaupt? Denken wir an die GEGAV-Initiative zurück, in der gefordert wurde, Erwerbs- und Familienarbeit zu gleichen Teilen auf Männer und Frauen zu verteilen. Büchler: Dass die Initiative gescheitert ist, ist bedauerlich. Allerdings gilt es darauf hinzuweisen, dass ihr auch ein Bild der Kleinfamilie zugrunde lag, das heute wohl überholt ist. Zentral ist hingegen ein soziales Sicherungssystem, das unabhängig von der Erwerbsarbeit ist, sowie eine deutliche Reduktion der Erwerbsarbeitszeit. Für alleinerziehende Frauen gibt es keine Umverteilungsperspektiven, sondern nur eine Doppel- bis Dreifachbelastung. Eine feministische Politik muss auch hier wieder einmal die Fakten klarmachen: Frauen in der Schweiz leisten drei Viertel der unbezahlten Haus- und Betreuungsarbeit Arbeit, sie leisten über ein Drittel der Erwerbsarbeit, verfügen aber nur über ein Viertel des Einkommens. Frauen arbeiten zudem öfter in flexiblisierten, wenig geschützten Arbeitsplätzen. Blattmann: Überlegt man sich – ausgehend vom feministischen Modell der zwei halben LehrerInnenlöhne – die Idee des gleichen Verdienstes und der Rollenteilung, kommt man rasch ins Schleudern. Wenn die Frau Verkäuferin ist und der Mann Lehrer, dann funktioniert das Ganze bereits nicht mehr. Da gibt es sehr viel Scheinheiligkeit. Es geht doch in erster Linie um das Einkommen. Da bin ich nicht derselben Meinung wie Andrea Büchler. Die Existenzsicherung von der Erwerbsarbeit zu entfernen bedeutet auch, den Lohnkampf in einem gewissen Sinn aufzugeben. Im Moment ist es möglich, ganz andere Finanzierungsmodelle zu diskutieren als noch vor ein paar Jahren, als man von einer Sockelarbeitslosigkeit von 10 Prozent ausging, während sie heute bei zwei bis drei Prozent liegt. Büchler: Das sind verschiedene Ebenen: Die Wirtschaft soll existenzsichernde Löhne bezahlen. Das Sozialwesen soll aber auch eine Existenzsicherung garantieren. Eine zu 50 Prozent erwerbstätige Mutter von drei Kindern wird kaum einen existenzsichernden Lohn erhalten. Sie trägt aber durch ihre Erziehungsarbeit ganz wesentlich zur Wohlfahrtsproduktion bei. Der Wert der unbezahlten Arbeit in der Schweiz entspricht 58 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Kinderrenten würden dem Rechnung tragen. Blattmann: Wenn garantierte Existenzsicherung, dann für Kinder, da bin ich einverstanden. Sobald es die Erwachsenen betrifft, habe ich meine Bedenken. Ein weiteres Thema ist die 11. AHV-Revision. Auf dem Buckel der Frauen sollen 1,2 Milliarden Franken gespart werden. Müssen die Frauen das hinnehmen? Blattmann: Ich glaube, es ist nicht zu ändern. Frau Dreifuss hat ihr Möglichstes getan. Ich bedaure dabei, dass es keine Debatte über eine AHV als Sozialversicherung im engeren Sinn gibt, die im Wesentlichen die weniger Begüterten begünstigt. Büchler: Ich glaube nicht, dass wir das hinnehmen dürfen. An der AHV-Revision zeigt sich im Übrigen exemplarisch die Schwierigkeit, sich im Feld von Differenz und Gleichheit zu bewegen. Wir haben in der Schweiz eine formale Gleichstellungsdebatte, die in Verfassung und Gesetz ihren Niederschlag findet. Die Realität ist aber eine andere. Sie verlangt eine Diskussion über die materielle Gleichberechtigung. In der AHV-Revisionsdebatte müssen wir die Fakten, die ungleiche Realität von Frauen und Männer thematisieren. Hat denn die Frauenbewegung unter dem Strich die Gleichstellungsdebatte verloren? Büchler: Ich bin nicht dieser Ansicht. Die Strategien haben sich zum Teil verändert, und die Bewegung lebt an anderen Orten weiter. Wir müssen alle unsere Handlungsoptionen nutzen, uns Definitionsmacht aneignen: Klug, umsichtig aber beharrlich. Vor allem in der Verteilung von öffentlichen Geldern und in Bezug auf die Folgen der Globalisierung und Deregulierung für Frauen gibt es noch viel zu tun. Die Pluralität der Bewegungen betrachte ich als Bereicherung. Blattmann: Die Frauenbewegung ist sicher gelassener als noch zu Zeiten der FBB oder der Ofra. Man will nicht mehr vom einzig Richtigen überzeugen und man kann besser mit Widersprüchen leben. Das empfinde ich als Fortschritt. |
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Andrea Büchler | Promovierte Juristin, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Uni Basel, Grossrätin und Fraktionspräsidentinder Frauenliste Basel (FraB). Sie hat eine 9jährige Tochter. |
Lynn Blattmann | Promovierte Historikerin und Wirtschaftsfrau. Ihr Büro Meier & Blattmann arbeitet zu Gleichstellung wie Kommunikation und erarbeitet Studien zu verschiedenen sozialen Themen. Blattmann hat u.a. gemeinsam mit Irène Meier das Buch "Männerbund & Bundesstaat" herausgegeben. |
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