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Redaktionsgespräch 10.2000

Den Ausbruch wagen

"Offen und stark für alle" heisst das Motto am GBI-Kongress in Luzern. Offenheit und Stärke werden damit zwar als Ziel, zugleich aber auch als Problem thematisiert. Bei der Mitgliederentwicklung zumindest haben die Gewerkschaften die "Wende noch nicht geschafft", wie der SGB schreibt. MOMA unterhielt sich mit GBI-Zentralsekretär Hans Baumann und dem Sozialwissenschaftler Jürgen Lehmann.

Am Kongress in Luzern nimmt sich die GBI drei Tage Zeit, um sich mit sich selbst zu beschäftigen. Welches sind die zentrale Fragen, die geklärt werden müssen?

Lehmann: Die Fragen des organisatorischen Wandels und der Meinungsbildungsstrukturen halte ich für wichtig. Dahinter steht die Frage, ob und wie man sich professionalisieren will. Der Wille zur Veränderung ist vorhanden. Weiter geklärt werden müsste die Frage der politischen Orientierung. Nicht nur das Alltagsgeschäft soll die Arbeit bestimmen, sondern die Perspektive für die nächsten zehn Jahre sollte einbezogen werden. Damit meine ich vor allem die Frage der Internationalisierung der Gewerkschaften. Die GBI könnte einen Beitrag zur globalen Verwirklichung der Menschenrechte und der internationalen Durchsetzung der Gewerkschaftsrechte leisten.

Baumann: Die internen Probleme kann der Kongress nicht lösen. Er kann und muss aber eine Ausarbeitung der längerfristigen politischen Orientierung vorantreiben. Als Unterlagen sind hervorragende Papiere vorhanden. (Positionpapiere im Mittelteil dieses Hefts, d. Red.). Die Diskussionen zu solchen Themen waren immer gut. Das Problem liegt dann in der Umsetzung.

Die Stärke der GBI liegt in der perspektivischen Arbeit, die immer wieder Impulse gibt auch für andere Gewerkschaften. Über die Medien fliessen unsere Diskussionen ja breit über die Delegierten hinaus in die gesellschaftliche Diskussion ein. Der Kongress muss hier einen neuen Anstoss geben.

Die GBI möchte Weichen für die Zukunft stellen. Gleichzeitig ist sie von internen Problemen geplagt. Über die Medien wurde ein interner Machtkampf ausgetragen. Geht es dabei um persönliche Machtkämpfe oder um Flügelkämpfe politischer Konzepte?

Baumann: Ich denke, dass es um individuelle Machtkämpfe geht. Ausser einem 20-seitigen Diskussionspapier gab es nie eine inhaltliche Auseinandersetzung. Auch mit diesem Beitrag treten aber nicht verschiedene politische Linien hervor. Die beteiligten Personen vertreten im Kern kaum wesentlich unterschiedliche politische Vorstellungen. Das ist auch ein Problem des Kongresses: Es besteht eine echte Wahl der Köpfe, da sich mehr Personen zur Verfügung stellen, als Sitze für die Geschäftsleitung vorhanden sind. Aber es gibt keine Wahl zwischen verschiedenen politischen Ausrichtungen. Im Grunde genommen sagen alle dasselbe. Es wäre schön, wenn wirklich auch verschiedene politische Linien zur Wahl stünden.

Die internen Konflikte hängen damit zusammen, dass wir zehn Jahre Krise hinter uns haben – insbesondere in der Bauwirtschaft, aber auch in anderen Sektoren. Das hat unsere Arbeit stark geprägt, wir hatten Mitgliederschwund und finanzielle Probleme zu bewältigen. Daraus folgte ein permanenter Umstrukturierungszwang. Das verunsichert die Leute und erschwert die Arbeit nach aussen. Es zwingt die MitarbeiterInnen auch, sich mit den internen Problemen zu beschäftigen. Diese Zeit und Energie geht dann der perspektivischen Arbeit und der Umsetzung von Perspektiven ab. Dieses Problem haben auch andere Gewerkschaften und viele NGO.

Die Neuorientierung, die durch die Entwicklung der letzten zehn Jahre nötig wurde, ist uns noch nicht gelungen. Zwar wird ständig daran gearbeitet, aber das macht die eigentliche Arbeit schwierig. Für die Realisierung grossere Würfe bleibt wenig Zeit.

Strukturprobleme erschweren die perspektivische Arbeit der Gewerkschaften wesentlich. Jürgen Lehmann, du hast im Auftrag der GBI eine Analyse der Region Nordwestschweiz gemacht. Was hast du herausgefunden?

Jürgen Lehmann: Die zehn Jahre Krise und Strukturreform spiegeln sich auch in unserer Analyse wider. Die GBI Nordwestschweiz ist dabei, ihre Arbeitsform, aber sicher auch ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit zu überprüfen. Diese politisch-strategische, organisationelle und betriebswirtschaftliche Neupositionierung ist aber international im Non-Profit-Sektor zu beobachten und nicht GBI-spezifisch. Gewerkschaftsspezifisch ist dagegen der Wechsel von einer ehrenamtlichen Bewegung mit langer Tradition zu einer – noch nicht ganz vollzogenen und intern umstrittenen – vollprofessionellen Dienstleistungsorganisation.

Die GBI steht in einem tiefgreifenden Transformationsprozess, der gelingen muss, will sie nicht einen Bedeutungsverlust erleiden. Wir haben primär die Organisationsform untersucht und da zeigt sich, dass die GBI Nordwestschweiz noch weit davon weg ist, ein professionell geführtes "Unternehmen" zu sein. Dabei ist aber der Anpassungsdruck von "aussen", also z.B. die tiefgreifende Strukturveränderungen in der Arbeitswelt, die Transnationalisierung der Wirtschaft, die Erosion klassischer Tarifsysteme und die "Tertiärisierung" des Industriesektors, gestiegen.

Ein gewerkschaftsspezifisches Problem besteht auch in der Frage, wer der Souverän ist, wer "den Kurs angibt". In der Gewerkschaft gibt es verschiedene Machtzentren, die sich z.T. gegenseitig lähmen oder gar ausspielen. Im Grunde genommen sind die Mitglieder der Souverän. Daneben gibt es die gewählten Vertreter der Delegiertenversammlung, schliesslich noch einen ehrenamtlichen Vorstand. Darüberhinaus gibt es den zweiten grossen Block der hauptamtlichen Mitarbeiter, der sich aber auch in Regio-Sekretäre, die Bewegung und die Verwaltung unterteilen lässt. Es versteht sich von selbst, dass hier viel Macht liegt, auch wenn es von den Statuten her anders gewichtet sein sollte. Dieser Widerspruch führt zu hohen Reibungsverlusten. Für die GBI heisst dies, dass nicht nur die Organisations- sondern auch die Entscheidungs- und Meinungsbildungsstrukturen überdacht werden müssen. Auf Dauer wird es nicht mehr ausreichen, zwar politisch korrekt, aber strukturell defizitär zu sein.

Baumann: Andere Gewerkschaften und teilweise auch Unternehmen sind aus meinen Erfahrungen als Gewerkschaftsexperte bei zwei Multis und als Mitglied des Europäischen Betriebsrates oft nicht besser dran als die GBI. Daher würde ich Lehmanns Aussagen auch nicht in dieser Härte unterschreiben. Es gibt viele gute Ansätze. Im zentralen Apparat haben wir professionelles Personal; wir haben vor ein paar Jahren als Führungsinstrument das Management by Objectives (MBO) eingeführt – mit relativ gutem Erfolg.

Sektionen werfen aber der GBI-Zentrale oft vor, sie sei nicht da, wenn man sie brauche – oder dann gelange sie mit realitätsfremden Vorstellungen an die Sektionen.

Baumann: Das hängt sicher mit dem Versuch zusammen, zu professionalisieren, wo es nötig ist. Die Sektionen waren mit diesen Vorhaben oft überfordert. Sektionsverantwortliche müssen unglaubliche Multitalente sein. Es ist eigentlich unmöglich, allen Ansprüchen zu genügen. Das hat aber auch den positiven Aspekt, dass eine Organisation mit so vielseitig geschulten MitarbeiterInnen relativ flexibel ist. Wir können innert kürzester Zeit die Sektionen oder Vertrauensleute für ein Ziel gewinnen. Da brauchen wir den Vergleich mit anderen Gewerkschaften nicht zu scheuen.

Flexibilität erfordert auch freie Ressourcen. Hat die GBI diese Ressourcen, um die grossen Fragen des Generalumbaus überhaupt angehen zu können?

Lehmann: Das überaus hohe Engagement und die Flexibilität der Mitarbeitenden sind sicher das grösste Kapital der GBI. Allerdings kann dieser Einsatz auf Dauer nicht strukturelle Defizite kompensieren. Wir haben aber auch die Gefahr der Überflutung durch wichtige Aufgaben gesehen, die zum Teil ohne Prioritäten angegangen werden. Dies führt u.U. zu einem Aktionismus mit entsprechend negativen Folgen. Die Aktivitäten sind häufig nicht in eine längerfristige Strategien eingebettet. Ein Generalumbau der GBI ist nur möglich, wenn die notwendigen Zeitressourcen vorhanden sind. Von den Resultaten unserer Analyse her muss ich sagen, dass mich überrascht hat, wieviel Überzeit gearbeitet wird. Das halte ich für eine Gewerkschaft, die eine 35-Stunden-Woche oder vielleicht mal eine 30-Stunden-Woche fordert, für bedenklich. Vom Engagement her sind die Ressourcen also da, aber faktisch nicht. Und die Diskussion geht ja eher in Richtung Stellenabbau als -ausbau.

Für die materiellen Ressourcen einer Gewerkschaft sind die Mitglieder wesentlich, da sie die wesentlichste Einkommensgrundlage bilden. Liegt die Zukunft der Gewerkschaft in der Interessenvertretung für heutige Mitglieder – mit manchmal konservativen Anliegen der Besitzstandwahrung – oder wo ist der Boden morgiger Gewerkschaftsarbeit?

Baumann: Trotz aller unbestrittenen Veränderungen in der Gesellschaft bestimmen in unseren Hauptbereichen wie dem Bausektor traditionelle Arbeitsverhältnisse immer noch stark das Bild. Im Vergleich mit andern Ländern oder Gewerkschaften hat die GBI vergleichsweise wenig Probleme. Diese traditionellen Verhältnisse haben nach wie vor einen hohen Stellenwert. Diese Leute müssen wir in erster Linie vertreten und ihren Besitzstand wahren. Trotzdem war es die GBI, die begonnen hat, neu entstandene prekäre Arbeitsverhältnisse zu problematisieren und die Interessen dieser Arbeitnehmenden zu vertreten.

In jeder Sektion sind es einige wenige Mitglieder mit sozialen Problemen, die einen Grossteil der Arbeitszeit der Sekretäre in Anspruch nehmen. Für neue Segmente und Zukunftsbereiche bleibt da kaum Zeit.

Lehmann: Die sogenannten Sozialfälle nehmen tatsächlich überproportional viel Zeit der Funktionäre in Anspruch. Aber ich muss auch sagen, dass dieser Faktor überschätzt wird.

Für die gewerkschaftliche Organisationspolitik ist das Mitglied die wesentliche Ressource. Anders als andere Nonprofit-Organisationen ist die Gewerkschaft im wesentlichen von den Mitgliederbeiträgen abhängig. Das bedeutet, dass sie primär die materiellen Interessen ihrer Mitglieder vertreten muss. Sie muss aber wohl in Zukunft den Mitgliedern besser vermitteln, dass dies angesichts der Globalisierung nur möglich bleibt, wenn die internationale Dimension mehr berücksichtigt ist. Die Transnationalisierung der Unternehmen erfordert – vom Gedanken der Solidarität her, aber auch aus Eigennutz – eine stärkere Internationalisierung der Arbeiterbewegung.

Gewerkschaften sind als selbstorganisierte Interessenvertretungen entstanden. Erschwert nicht die heutige Technologisierung der Arbeit und die Individualisierung die Herausbildung solcher gemeinsamer Interessenlagen und eine darauf aufbauende Politik?

Baumann: Bei den Jüngeren können wir sicher am ehesten Leute ansprechen, die in unseren traditionellen Arbeitsbereichen arbeiten. Die neuen Schichten der InformatikerInnen usw., die immer mehr werden und teilweise mehrere Jobs haben oder selbständig arbeiten, sind schwieriger zu organisieren. Bei den unter 25-jährigen ist der Organisationsgrad bei allen Gewerkschaften sehr schlecht. Das hat sicher einen Zusammenhang mit den neuen Arbeitsformen.

Lehmann: Ich unterrichte an der Fachhochschule junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren. Da fällt auf, dass die Leute oft nicht genau wissen, was eine Gewerkschaft ist. Die erste Frage Studierender ist meist, welchen Nutzen sie bei einem Eintritt in die Gewerkschaft haben. Zahlt sich der Jahresbeitrag überhaupt aus? Ich erwähne dies, weil ich glaube, dass insbesondere jüngere Leute zunehmend die gemeinsame Interessenlage aus dem Auge verlieren und eine gemeinsame Interessensvertretung nicht mehr für nötig erachten.

Bei jungen Leuten muss auch angemerkt werden, dass neben den Folgen der Individualisierung auf der Bewusstseinsebene die Organisationsform von Gewerkschaften eine Rolle spielt. Viele haben Mühe mit verkrusteten Strukturen und Hierarchien, auch Frauenfeindlichkeit wird oft kritisch an den Gewerkschaften beobachtet. Wie bei vielen sozialen Bewegungen zu beobachten gilt, dass die Jungen sehr aktionsorientiert sind. Sie verpflichten sich nicht längerfristig einer Organisation, sondern sind themenbezogen kurz dabei. Dass Gewerkschaften dies bisher nicht berücksichtigt haben, kann man ihnen ankreiden, es handelt sich aber um grundsätzliche gesellschaftliche Phänomene.

Das politische Engagement der Jungen ist nicht einfach verschwunden, es hat aber die Formen und die Orte gewechselt. Ob eine Organisation wie die GBI dem überhaupt gerecht werden kann, ist schwer zu beantworten. Ich glaube aber, dass das Organisationspotenzial bei jungen Leuten, in neuen Berufsfeldern und bei Frauen nicht ausgeschöpft ist. Es braucht allerdings Organisationsformen, die den neuen Branchen und der Individualisierung gerecht werden.

Baumann: Wir haben immer versucht, flexible Gefässe zu schaffen, beispielsweise mit Jugendgruppen. Fragt man Leute, ob es eine Gewerkschaft braucht, dann ist in Umfragen und in meiner persönlichen Erfahrung die Mehrheit immer der klaren Überzeugung, dass es sie braucht. Es fehlt dann aber an der Umsetzung, konkret einem Beitritt zu einer Gewerkschaft. Das wir es nicht schaffen, diese Sympathie auch umzusetzen, ist sicher problematisch.

Belegschaften der Hochkonjunktur hatten also ein gewerkschaftliches Selbstverständnis, während die neuen Generationen in einer schnell wechselnden Umwelt die Gewerkschaften nicht mehr als Ort des eigenen Engagements sehen?

Lehmann: So wie die bezahlte Erwerbsarbeit auch in Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und der gesellschaftlichen Integration spielen wird, bleiben auch Gewerkschaften ein Ort des politischen Engagements, aber nur noch einer unter vielen. Heute gibt es viele Initiativen, Bündnisse, Gruppierungen, in denen man sich jenseits von Parteien und Gewerkschaften politisch engagieren kann. Mir kommen spontan die Love Parades in den Sinn, die im Grunde genommen politische Demonstrationen für den Frieden sind. Die ersten Love Parades entstanden noch als alternative Demonstrationen. So wie sich diese Anlässe heute präsentieren, fällt es mir schwer, sie als Ausdruckform von Politik zu sehen. Studierende sagen aber: Genau das ist es. Eine Organisation kann es möglicherweise gar nicht leisten, diese Ausdrucksformen zu ermöglichen. Es gilt aber, von ihnen zu lernen.

Zweitens ist der Widerspruch von Arbeit und Kapital als wichtiges Thema in den Hintergrund gerückt gegenüber anderen Anliegen wie der Ökologie oder der Frauenfrage. Hier ist die Anforderung an die Gewerkschaften, solche zentralen Themen mit den primären gewerkschaftlichen Anliegen besser zu verbinden sowie glaubwürdig und eindeutig zu vertreten. Eine Konkretisierung und ein Aufgreifen dieser Themen auf betrieblicher Ebene bietet Anknüpfungspunkte für Nicht-GewerkschafterInnen.

Selbst in ihrem Kerngeschäft der Arbeitsverhältnisse sind Gewerkschaften kaum mehr bewegungsführend. Bewegungen wie ATTAC scheinen viel lebendiger und dynamischer. Liegt das an ihren moderneren Bewegungsformen, an den Strukturen?

Baumann: Die Gewerkschaft ist aus sozialen Bewegungen entstanden. Ich denke, dass das auch heute noch der Fall ist. Wir sind auch heute noch eine soziale Bewegung – oder sollten es zumindest sein.

Lehmann: Die Strukturen sind das eine. Heutige Bewegungen sind flexibel, spontan, unkonventionell, unberechenbar, selbstorganisiert, haben eher einen Netzwerkcharakter und folgen keinen festen Regeln, kurz, es sind politische Gelegenheitsstrukturen – im Gegensatz zu einer institutionalisierten Organisation mit Tradition wie die Gewerkschaft. Das andere ist aber das Selbstverständnis. Bewegungen sind äusserst heterogen; unterschiedlichste politische Strömungen treffen sich über ein sehr spezifisches Anliegen. Die Individuuen und Gruppierungen sind niemandem politisch verpflichtet und begreifen sich als Störfaktor bei der hemmungslosen Durchsetzung unternehmerischer Gewinnerwartung. Sie stellen meist die globalen und lokalen Lebens- und Umweltqualität in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, wohinter auch Fragen der Arbeitsplatzsicherung und die Verbesserung von Einkommen und Erhöhung des Lebensstandards – zumindest in den Industrieregionen der Welt – zurückstehen müssen. Gewerkschaften haben da eine etwas andere Prioritätensetzung.

Baumann: Wenn man in der Schweiz noch einen solchen Störfaktor findet, dann ist es die GBI – und dann kommt lange nichts mehr.

Mit anderen Worten: Den einen ist die GBI viel zu politisch, den andern viel zu wenig.

Baumann: Will man in der Schweiz Einfluss nehmen, muss man in allen Gremien usw. Einsitz haben. Das schliesst aber Kämpfe nicht aus. Die Stärke der GBI liegt im Unterschied zu einer sozialen Bewegung darin, dass sie nicht so einfach verschwindet. Das ist die Stärke jedes trägen Apparats. Das bringt auch mit sich, dass Bewegungen wie ATTAC oder der Frauenmarsch wesentlich durch die Gewerkschaften gestärkt werden können. Ich hoffe, dass der Versuch, diese Bewegungen zu vernetzen – wie das von Bourdieu u.a. vorgeschlagen wird – auch gelingt.

Oft scheinen Gewerkschaften in ihrer Arbeit heillos überfordert, weil sie alles und das gleichzeitig machen wollen. Kann man keine Prioritäten und Zielgruppen definieren?

Lehmann: Wenn man alles gleichzeitig machen will, bleibt alles unbefriedigend und ineffizient. Man muss das Kerngeschäft der Gewerkschaft klar definieren und begrenzen, andererseits aber auch auf Grund einer strategischen Ausrichtung Ressourcen für Aktivitäten freisetzen, die über den Kernbereich hinaus gehen. Dazu gehört wohl auch die internationale Orientierung. In den Niederlanden zahlt die Gewerkschaft FNV-Bondgenoten ein halbes Prozent aller Mitgliederbeiträge in einen weltweiten Solidaritätsfond ein. Damit wurden Stellen für internationale Kontakte geschaffen.

Der SMUV hat 1997 vorgeschlagen, eine Power Task Force nach dem Vorbild von Greenpeace, eine internationale Gruppe von GewerkschaftsaktivistInnen für Aktionen z.B. gegen unsoziale Arbeitsbedingungen weltweit zu bilden. Das sind beispielhafte Massnahmen, die einer entsprechenden Orientierung Glaubwürdigkeit verleihen würden.

Gibt es Aktionen, die als positive Beispiele gelten könnten, weil tatsächlich Leute zur Gewerkschaft gekommen sind, ohne dass die Gewerkschaften den Leuten hinterherrennen mussten?

Lehmann: Soweit ich weiss haben die beiden Streiks in Basel neue Mitglieder gebracht, wobei auch gewisse Zugeständnisse gemacht wurden. Aber tatsächlich haben diese Aktionen eine positive Wirkung.

Baumann: Wir können ja nicht nur Sponti-Aktionen machen, sondern müssen auch seriöse, längerfristige Arbeit leisten. Da haben wir einen weiteren Widerspruch: Wir können uns nicht nur auf die Mitgliederwerbung konzentrieren. Wir müssen auch für die nächsten fünf Jahre arbeiten, zum Beispiel an den bilateralen Verträge Schweiz–EU. Das sind Arbeiten, die im Stillen vor sich gehen, die vielleicht etwas bringen, aber vielleicht auch nicht. Das bringt dann auch keine neuen Mitglieder, oder mindestens nicht unmittelbar.

Die Fragen stellte Roland Brunner, das Gespräch bearbeitete Florian Wick.

Hans Baumann

ist Ökonom und stellvertretender Zentralsekretär der GBI.

Jürgen Lehmann Fachhochschule für soziale Arbeit beider Basel (Basler Institut für Sozialforschung und Sozialplanung) hat kürzlich eine Ressourcenanalyse der GBI Nordwestschweiz fertiggestellt.

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